Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
das Gefühl, einen Draht zu dem Mann zu haben, der sie gezeugt und großgezogen hatte. Doch es war nur ein flüchtiger Blick und gleich wieder vorbei.
»Aber ich wäre zurückgekommen.« Seine Stimme wurde wieder barsch. »Schließlich bin ich Texaner. Meine Wurzeln sind hier. Und wenn ich durchs Land gezogen wäre, hätte ich nicht so viele schöne Paints züchten können.«
Und der liebe Gott wusste, wie sehr er seine Pferde liebte.
»Eines Tages wirst du das verstehen.«
Sie glaubte zu wissen, was er meinte, doch in letzter Zeit war er immer für eine Überraschung gut. »Was denn?«
»Dass einem das Umherstreunen leichtfällt, wenn man einen Anker hat.«
Ein Anker, der sich manchmal als schwere Last erwies, die einen niederdrückte.
Er betätigte einen Schalter an seinem Bett und stellte das Kopfende ein Stückchen höher. »Die Zuchtsaison für Pferde und Rinder hat begonnen, und ich sitz hier fest.«
»Haben die Ärzte gesagt, wann du nach Hause darfst?« Wenn es so weit war, wollte sie eine Hauspflegerin für ihn engagieren.
»Die sagen nichts. Meine alten Knochen heilen eben nicht mehr so gut wie früher.«
Ja. Das wusste sie. »Was hat dein Arzt zu deiner erhöhten Temperatur gesagt? Abgesehen davon, dass du offenbar müde bist.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich bin alt, Sadie Jo.«
»Aber zäh wie Schuhleder.«
Er lächelte schief. »Ja, aber ich bin auch nicht mehr, was ich mal war. Mir haben schon vor dem Unfall die Knochen wehgetan.«
»Dann lass es ruhiger angehen. Wenn du hier endlich raus bist, sollten wir zusammen Urlaub machen.« Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie je gemeinsam Urlaub gemacht hätten. Als sie noch klein war, hatte er sie immer zu Verwandten ihrer Mutter oder ins Ferienlager geschickt. Sie glaubte nicht, dass er die Ranch je verlassen hatte, es sei denn, es war geschäftlich bedingt. »Du hast doch gesagt, du wolltest durchs Land reisen. Wir könnten nach Hawaii fliegen.« Obwohl sie sich ihren Vater beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie er im Hawaii-Hemd und mit Cowboystiefeln am Strand saß und an Cocktails mit Regenschirmchen-Deko nippte. »Oder du kannst zu mir nach Phoenix kommen. In Arizona gibt es ganze Ruheständlerstädte.« Alte Menschen liebten Arizona. »Die Ranch wird auch ein paar Wochen ohne dich überleben.«
»Die Ranch wird noch lange nach meinem Tod weiterleben.« Er sah sie an, das Weiß in seinen Augen ein trübes Beige. »Das ist so geregelt, Sadie Jo. Wir haben nie darüber gesprochen, weil ich dachte, dass ich noch mehr Zeit hätte und dass du von selbst nach Hause kämest. Ich …«
»Daddy, du …«, versuchte sie ihn zu unterbrechen.
»… habe gute Leute, die sich um alles kümmern.« Er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Du brauchst nichts zu tun, als dein Leben zu leben, und eines Tages, wenn du dazu bereit bist, wird sie auf dich warten.«
Seine Worte versetzten ihr einen Schlag. Er sprach sonst nie so. Nie über Geschäftliches oder die Ranch oder über die Zeit, in der er nicht mehr da wäre. »Daddy.«
»Aber unser Land darfst du niemals verkaufen.«
»Das würde ich auch nicht. Niemals. Das ist mir noch nie in den Sinn gekommen«, beteuerte sie, aber sie konnte sich nicht in die Tasche lügen. Natürlich hatte sie darüber nachgedacht, und das mehr als einmal, doch als sie die Worte ausgesprochen hatte, wusste sie, dass es die Wahrheit war. Sie würde das Land ihres Daddys nie verkaufen. »Ich bin eine Hollowell. Wie mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater.« Schließlich war sie Texanerin, und die hatten tiefe Wurzeln, egal wo sie lebten. »Alle meine Anker.«
Clive tätschelte ihre Hand ein Mal. Zwei Mal. Seltene drei Male. Eine größere Liebesbezeugung konnte man von ihm nicht erwarten. Das war wie eine feste Umarmung von anderen Vätern.
Sadie lächelte. »Schade, dass ich Großvater nicht mehr kennengelernt habe.« Als sie zur Welt kam, waren beide Großeltern bereits verstorben.
»Er war eine bösartige Klapperschlange. Ich bin froh, dass du ihn nicht gekannt hast.« Er nahm seine Hand von ihrer. »Er hat mir schon das Fell gegerbt, wenn ich auch nur zur Seite geblickt habe.«
Ihr waren hier und da Gerüchte zu Ohren gekommen, dass Clive senior unberechenbar gewesen war, doch wie bei den meisten Gerüchten über ihre Familie hatte sie das größtenteils ignoriert. Sie erinnerte sich nur vage daran, was ihre Mutter von ihrem Großvater gehalten hatte, aber ihrem Vater war nie ein böses Wort
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