Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
versuchte zu lächeln und brach stattdessen zu unser beider Entsetzen in Tränen aus.
»Meine Liebste, meine Königin, bitte weine nicht!« Sinclair hasste es, wenn ich weinte. Mein Ehemann, der in seinem Leben viele Tragödien ertragen hatte und nach seinem Leben unzählige weitere, mein Ehemann, den eine Kugel ins Herz treffen konnte und der danach nur milde verstimmt war … ihn, meinen Ehemann, riss es förmlich in Stücke, wenn ich weinte. Er pflegte dann zu Fred-Feuerstein-Reaktionen zu neigen: »Wer hat dich zum Weinen gebracht? Ich bring den Mistkerl um!« Das war irgendwie beruhigend und gleichzeitig sehr neandertalermäßig.
»Es tut mir leid!«, rief ich und schluchzte nur noch heftiger. »Ich wusste nicht, dass das passieren würde. Blöde Katze! Blöde Köter!«
»Ich bin sicher, dass deinen Schuhen nichts geschehen ist«, tröstete er mich. »Ich habe dich doch hereingelassen, bevor die Meute aus der Nachbarschaft sie besudeln konnte.«
»Darum geht’s nicht.« Zum ersten Mal in meinem Leben waren mir Schuhe völlig egal.
»Ich weiß«, sagte er traurig. »Ein armseliger Versuch, dich auf andere Gedanken zu bringen. Bitte tu dir das nicht an, Elizabeth! Es war Marcs eigene Entscheidung. Niemand gibt dir die Schuld.«
Falsch. Ich gab mir die Schuld.
»Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Ich will es wieder in Ordnung bringen … aber wie du gesagt hast: Was, wenn ich es nur noch schlimmer mache? Doch ich mag’s nicht, wie ein Feigling rumzuhängen und darauf zu warten, dass die Dinge von selbst wieder ins Lot kommen. Denn das tun sie nicht, Sinclair. Man muss etwas dafür tun.«
»Ja.«
Also schimpfte und nörgelte und weinte ich, und mein Gemahl hielt mich fest und tröstete mich, und ich grübelte und grübelte und grübelte.
Ich war doch nicht aus Zufall Königin geworden. Einiges von diesem Mist hatte passieren sollen, aber manches eben auch nicht. Und dass Marc tot blieb, stand ganz oben auf meiner »Sollte-nicht-passieren«-Liste. Er hatte sich umgebracht, um sich zu retten … hatte sich die Goldene Tasse gegeben, um nicht in fünfhundert Jahren als irrsinniger Vampir, als Marc-Kreatur zu enden.
Na schön. Dann überleg mal, wie du ihn zurückbringen kannst, ohne ihn jemals zum Vampir zu machen! Warum hatten wir voreilig angenommen, dass das eine das andere ausschloss? Dass er nicht tot war, bedeutete doch nichts weiter als eben das. Es stand nicht in den Sternen, dass er sich zwangsläufig in die Marc-Kreatur verwandeln musste. Außerdem war das in dem alten Zeitstrom geschehen. Den ich, wie mein Gemahl richtig bemerkt hatte, unabsichtlich geändert hatte.
Also: Was würde ich erst vollbringen können, wenn ich etwas mit Absicht tat?
Es war an der Zeit, es herauszufinden. Eigentlich schon höchste Zeit.
6
Es ist schon komisch … das Leben kann dir auflauern. Dein eigenes Leben kann dir auflauern. Denn wenn du mittendrin in den grässlichen Geschehnissen steckst, ist es dir unmöglich, den Zusammenhang zu erkennen.
Wenn du das aber schließlich erkennst, wenn du die Chance erhältst, das Chaos, das du verursacht hast, zu betrachten, dann kommt es dir vor, als würde sich alles wiederholen. Und zwar auf schlimmere Weise, denn nun erkennst du, dass es in Wirklichkeit noch viel, viel schlimmer ist, obwohl du es schon schlimm genug fandest … Dir wird klar, dass du nämlich einen Trümmerhaufen hinterlassen hast.
Einige meiner Freunde waren tot. Einige erinnerten sich nicht mehr an mich (oder nur an ein anderes Ich), weil ich versehentlich den Zeitstrom geändert hatte. Manche waren fast komplett übergeschnappt, während andere an ihrer unbedingten Loyalität zu mir festhielten.
Wenn man einen Schritt zurücktritt und sein Leben genau betrachtet … dann ist es wirklich verdammt deprimierend, finden Sie nicht auch?
Zeit für einen Milchshake.
»Smoothies reichen jetzt nicht mehr«, verkündete ich und eilte zum Gefrierschrank, um meine eiserne Reserve hervorzukramen: eine halbe Gallone Bryers Vanilla Fudge Twirl-Eiscreme. Vor meinem Tod waren meine Seelentröster Hershey-Schokoriegel mit Mandeln gewesen oder auch Moms Risotto. Ja, früher einmal war ich ein normales, unkompliziertes Mädchen gewesen.
Zu meinem wachsenden Ärger musste ich ein halbes Dutzend von Tinas absonderlichen Wodka-Flaschen wegräumen, bevor ich meinen Schatz fand. Schon beim Lesen der Etiketten mit den verschiedenen Geschmacksrichtungen überlief es mich jedes Mal kalt; jetzt jedoch musste ich
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