Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
Sicht auf die Welt war von beneidenswerter Schlichtheit: Sein Leben ohne Antonia war nichts wert gewesen. Jetzt war sie wieder da. Eins rechts, eins links, eins fallen lassen. Ich sag’s ja: beneidenswert schlicht.
Doch ich begann mich zu fragen, ob er wirklich so einfach gestrickt war. Wir hatten uns angewöhnt, ihn als hirnlosen Wilden zu betrachten, der sogar mit Augenbinde Maschen aufschlagen konnte. Aber ich vergaß immer wieder, dass Garrett, auch wenn er in mir Beschützerinstinkte weckte, kein Kind mehr war, und das seit fast einhundert Jahren. Und falls ich jemals meinen eigenen Serienmörder brauchen würde, dann war Garrett aufgrund seiner vielen Leiden ein bombensicherer Kandidat. Ich wusste, er würde alles tun, um Antonia zu beschützen. Und ich wusste auch, dass er ein Lügner und ein Feigling war.
Wahrscheinlich hatte das Gespräch mit der Marc-Kreatur mir diesen ungewollten Blickwinkel vermittelt, dass es »immer die Leisen trifft«. Und somit war der Punkt gekommen, an dem ich, wäre dies ein Film und ich dessen Heldin, den Schwur leisten würde, »dieser Sache auf den Grund zu gehen«. Und dann würde ich noch einen draufsetzen: »Es ist noch nicht vorbei.« Womit ich natürlich das Gegenteil meinen würde.
Alle mal herhören! Das war’s, was wir brauchten. Irgendeine schriftliche Aufstellung, damit wir nicht den Überblick verloren, wenn wir bis zum Hals in unsere tödlich gefährlichen Abenteuer verstrickt waren. Wenn wir dann die akute Bedrohung abgewendet hatten, konnte ich meine Liste des Bösen studieren und anmerken: »Ich habe Garrett beim Lügen ertappt, und er hat mich mit einem Trick dazu gebracht, in die Hölle zu reisen. Außerdem weiß ich, dass durch ihn mehr Leute zu Tode gekommen sind als durch Hot-Pockets-Teigtaschen. Vielleicht sollten wir da mal nachhaken?«
Wäre das nicht einfach? Und genau das war der Haken an der Sache. Es war bestimmt zu einfach, denn solche Dinge geraten bei mir leicht in Vergessenheit, wenn das schlimmste Übel der Woche seinen hässlichen Kopf emporreckt …
»… doch kein großes Problem, oder?«
»Ja, aber was dieses besondere Problem angeht«, sagte ich, »müssen wir allmählich mal loslegen. Wir können doch nicht einfach rumsitzen und Listen aufstellen, Leute!«
»Äh, was?«
»Egal. Was ich sagen will, ist Folgendes: Ich hab jetzt lange genug rumgesessen.«
»Hat das irgendwas mit deinem Hass auf Thanksgiving zu tun?«, erkundigte sich Nick/Dick.
»Sprich in meiner Gegenwart nicht über dieses schreckliche lange Wochenende.«
»Soll das bedeuten, dass du kein Füllhorn im Esszimmer aufhängen wirst?«
»Da würde ich lieber mit Benzin gurgeln und mir ’ne Zigarette anstecken.«
Sinclair lachte. »Was für eine … interessante Vorstellung.«
»Für dich lass ich auch noch genug Benzin übrig«, drohte ich ihm. Meine Eltern hatten sich im November scheiden lassen, Jessicas Eltern waren im November ums Leben gekommen. Ant war im November geboren! Der April war nicht der schlimmste Monat! »Stell dich besser drauf ein, Freundchen.«
»Dies«, bemerkte mein Gemahl, völlig unbeeindruckt von der Gefahr, bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden, »ist nun das dritte Mal in dieser Woche, dass ich mich wieder bis über beide Ohren in meine Königin verliebt habe.«
»Und dabei haben wir erst Samstag«, warf Jessica ein.
»Tatsächlich?« Ich war baff. Mir kam es vor, als wären acht Jahre vergangen. Es geschah viel zu viel, und wie immer blieb zu wenig Zeit, um alles zu verarbeiten. »Oh, verdammt. Dann ist Thanksgiving also schon nächste Woche?« Kein Wunder, dass meine Nerven blank lagen. »Das klingt richtig verhängnisvoll. Ein paar furchtbare Feiertage, die in der kommenden Woche auf uns lauern. Der nur darauf wartet, sich auf uns zu stürzen.«
»Ist doch bloß Truthahn und Fußball«, sagte Nick/Dick genervt.
»Mit Völkermord als Beilage«, kicherte Antonia. Sie hatte ihr Glas geleert. »Findet ihr es hier etwa schlimm? Da solltet ihr erst mal in Neuengland leben. Da geht’s immer nur um Thanksgiving und die Pilgerväter.«
»Widerlich«, sagte ich entsetzt. Ich konnte es ihr so gut nachfühlen. Thanksgiving musste die reine Hölle sein, wenn man es hasste und ständig davon umgeben war. »Erinnere mich daran, dankbar zu sein für das, was ich habe.«
»Warum sollte ich?« Mit bewundernswerter Schnelligkeit wickelte Antonia himmelblaue Wolle zu einem Knäuel auf. »Das bist du ja doch nie.«
»Könnten wir uns
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