Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
kennengelernt hast, wollte er von einem Dach springen!«
»Ja, stimmt.« Wenn man es so sagte, hörte es sich furchtbar an. »Aber danach ging es ihm besser.«
»Ach, du hast ihn also von seiner chronischen Depression geheilt? Ist das jetzt eine deiner Superkräfte?«
Eher nicht. Doch wäre das nicht cool? »Wenn du es so sagst, hört es sich furchtbar …«
»Er hatte Borderline und war ein Alk, der einfach nicht trocken bleiben konnte. Er war ein Schwuler, der keine Dates hatte, ein Mann, der keine Beziehung zu seinem Vater hatte, der immerhin seine einzige Familie bildete.«
»Wir sind seine Familie.«
Doch Nick/Dick hörte gar nicht zu. Er beugte sich so weit vor, dass sein Jackett aufklappte und die Pistole im Halfter am Gürtel zu sehen war. »Marc war ein unglücklicher Mensch. Lassen wir ihn doch in Gottes Namen – ’tschuldigung, Sinclair – in Frieden ruhen.«
»Sprich nicht in der Vergangenheitsform von ihm!« Ohne es zu merken, war ich aufgesprungen. Nick/Dick ebenfalls. Nun trat er einen Schritt zurück. Sinclair glitt um den Tisch herum, als wollte er mir den Weg versperren. Als hätte ich vor, Nickie/Dickie etwas anzutun. Und Antonia stellte sich vor mich, als hätte Nickie/Dickie vor, mir etwas anzutun. Im Moment, so konnte man wohl mit Fug und Recht behaupten, waren wir alle ein wenig neben der Spur.
»Wie es scheint, bin ich nicht rechtzeitig eingetroffen«, hörte ich Tina sagen. Sie stand auf der Schwelle, hielt die Tür mit gespreizten Fingern auf und klaute dreist eine Zeile aus
Zauberhafte Schwestern
.
7
»Ich wollte ihm doch nichts antun.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Die benehmen sich alle so, als hätte ich ihm was antun wollen. Du übrigens auch.«
»Nein«, widersprach mein Gemahl.
»Sinclair, du hältst mich am Arm gepackt und zerrst mich gerade aus der Küche!«
»Nein.«
»Aber ja!«
»Nein.«
»Und Tina ist genau hinter dir!« Sie gab ihm Rückendeckung, wie immer. Oder sie gab mir Rückendeckung. Oder half ihm, mir Rückendeckung zu geben. Das ergab also … eine Rückendeckung für ihn, damit er mir Rückendeckung gab?
Wie dem auch sei: Sie zerrten mich so rasant die Treppe hinauf, dass mir schwindlig wurde.
»Wir zerren Euch nicht … Ich … äh … freue mich nur so, Euch zu sehen, meine Königin.«
»Erspar mir den Quatsch, Tina!«
Tina war unsere Sekretärin, Untertanin und Freundin. Sie war Sinclairs Majordomus – ich hab erst vor Kurzem herausgefunden, dass das ein Wort ist! (Ach, was ich alles gelernt habe, seit ich tot bin! Ich könnte glatt ein Buch darüber schreiben. Ein witziges, seichtes Buch, das aus unverständlichen Gründen ein Bestseller wird.)
Tina war die Supersekretärin meines Ehemannes und trug gelegentlich sogar eine Waffe. (Mithin die beste Sekretärin aller Zeiten! Ich muss es wissen, ich bin ja früher auch Sekretärin gewesen, aber eine schlechte.) Sie war also Majordomus oder, wie sie letzten Monat scherzhaft sagte (ich glaube jedenfalls, dass es im Scherz war), Verwalter des Hauses. Ja, ich weiß: Ich wusste nicht, ob ich sie so nennen durfte, denn wenn sie es nicht scherzhaft gemeint hatte, würde sie es krummnehmen. Konnte ich sie damit necken, dass sie ihr Verwaltungsamt ernst nahm? Doch was war, wenn ich es ernst genommen, Tina aber nur einen Scherz gemacht hatte? (Sie sehen schon, mit welchen albtraumhaften Problemen ich mich tagtäglich herumzuschlagen habe.)
Tina war also unsere Sekretärin, doch zugleich war sie sehr, sehr viel mehr. Nur wusste ich nie, wie viel mehr. Freunde pflegen dich nun mal nicht »Eure Majestät« zu nennen. Außerdem hatte Tina mir in den vergangenen Jahren neunmal den Arsch gerettet. Doch sie neigte nicht zu Vertraulichkeiten. Sie war kühl und gleichzeitig eine irrsinnig scharfe Frau. Tina war als junges Mädchen im Bürgerkrieg ums Leben gekommen und kleidete sich wie eine Entsprungene aus einem katholischen Internat, das von einem sehr widerlichen alten Mann geleitet wird. Sie war also eine Eisprinzessin, aber gleichzeitig total scharf. Distanziert, aber besorgt. Ein kühler Profi, aber dennoch eine Vertraute.
»Wir haben einen Familienrat abgehalten«, erklärte ich, während ich wie ein ungehorsames Mädchen (»Böse Vampirkönigin!«) zu meinem Zimmer geschleift wurde, »und uns dabei ein klein wenig gezankt, und dann ist Sinclair ausgeflippt. In dem Moment bist du reingekommen – mit einer geklauten Zeile aus
Zauberhafte Schwestern
, wie ich hinzufügen könnte.« Es war Tinas
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