Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
den Augen. »So sieht es aus!«
»Okay, du hast ja recht!«, schrie ich zurück. »Ich verstehe, dass du verwirrt bist! Wir müssen das wieder geradebiegen! Also mach dir keine Sorgen!«
»Keine Sorgen? Scheißdreck! Ich hab ein paar Fragen an dich, Betsy! Ich dachte, wir hätten dieses Thema zu den Akten gelegt! Und jetzt sehe ich, dass du Marc von den Toten zurückgeholt hast!«
»Ich war das nicht! Darüber will ich ja gerade mit euch reden! Wenn wir uns vielleicht … Großer Gott, Jess, hol doch mal Luft, bevor du noch ohnmächtig wirst!«
Sie hörte so abrupt auf zu schreien, als hätte ich einen Schalter an ihren Stimmbändern umgelegt. »Was ist das?«, fragte sie heiser und zeigte mit zitterndem Finger auf Marc, der trotzig und verlegen und unglücklich und hoffnungsvoll wirkte, alles zugleich. »Was geht hier vor? Betsy? Warum? Warum hast du das getan?«
»Meine Königin hat gar nichts damit zu tun«, schaltete sich Sinclair ein. Tina, die Sekunden nach Jessicas erstem Aufheulen in die Küche gestürzt war, rieb sich die Ohren. Jess hatte aber auch wirklich ein Organ … Die anderen kannten diese Seite von ihr noch nicht. Allerdings hatten sie auch nie ihre schrecklichen Eltern kennengelernt. »Aber wir konnten euch diese neue Entwicklung nicht vorenthalten.«
»Neue Entwicklung«, fragte Nick/Dick erstaunt. »Nennt man das jetzt so? Mir kommt es eher vor wie ein Zeichen der Apokalypse.«
»Also bitte.« Fast hätte ich die Augen verdreht. »Für dich ist doch schon jemand, der eine gelbe Ampel überfährt, ein Zeichen der drohenden Apokalypse.«
»Da wären wir also wieder versammelt«, konstatierte Sinclair. »Wie schade, dass sämtliche noch intakten Mixer noch von der letzten Besprechung schmutzig sind.«
»Deshalb hat Gott ja Spülbecken und Spülmittel erfunden!«, blaffte ich. »Würde es dich umbringen, mal einen Schwamm zur Hand zu nehmen?«
»Es würde mich nicht umbringen«, lautete seine Erwiderung, »doch ich fände es unangenehm. Hast du eine Ahnung, wie viele Bakterien auf so einem Schwamm sitzen?«
»Sinclair, ich schwöre bei Gott, du machst dir zur unpassendsten Zeit über die blödesten Dinge Gedanken …« Das einzig Gute an dieser Küchen-Konfrontation war, dass Antonia und Garrett nicht da waren. Vermutlich drückten sie sich in einem Handarbeitsgeschäft herum oder waren zum Walker Arts Center gegangen, um es in dem Löffel, der berühmten Skulptur, miteinander zu treiben. Im November! Brrr. Aber immerhin waren wir zwei weniger, die ich vor hysterischen Anfällen bewahren musste.
»Marc, was ist denn nur geschehen?« Jess spähte vorsichtig um Nick/Dick herum. »Warum hast du das getan? Warum bist du zurückgekommen? Ach, Marc …« Ihre Mundwinkel senkten sich, und ihre Lippen zitterten, obwohl sie versuchte, sie grimmig zusammenzupressen. »Wie konntest du mir solche Angst einjagen? Wie konntest du uns solche Angst einjagen?«
Dann brach sie in Tränen aus, und wir fühlten uns alle wirklich beschissen. Marc wirkte so betreten, dass ich spürte, wie gern er sich in einem Mauseloch oder einem Grab verkrochen hätte. Er machte einen behutsamen Schritt auf Jessica zu, aber ein Blick von Nick ließ ihn innehalten.
»Jess, weine doch bitte nicht!« Er fasste sie nicht an, rang jedoch flehentlich die Hände. »Ich weiß nicht, warum ich zurückgekommen bin. Ich weiß, dass ich besser hätte verborgen bleiben sollen … da oben auf dem Speicher. Ich wollte bloß … ich war so …« Er brach ab, fügte dann mit schlichter Würde hinzu: »Ich hab euch alle so vermisst. Ich war einsam. Und … es ist irgendwie unheimlich, da oben so ganz allein zu sein. Nach ein paar Tagen hat es mir richtig zugesetzt.«
Okay, gleich würde ich weinen. Die Vorstellung, wie mein guter Freund auf dem Speicher herumkroch und einerseits hoffte, wir würden ihn nicht hören, andererseits sich jedoch genau das Gegenteil wünschte … Herrgott! Einsam und verängstigt. Das kam dabei heraus, wenn man mit mir befreundet war: ein viel zu früher Tod, sich ängstlich auf Speichern verborgen halten, schrille Streitereien mit Freunden und Angst … ewige, unstillbare Angst.
»Nach ein paar … Mensch. Warte mal: Wie lange warst du denn da oben? Du bist doch noch nicht mal eine Woche tot!«
»Das liegt daran, dass die Zeit ein Rad ist.«
»Was?« Ich war nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte.
»Was?« Es schien ihn zu schütteln. »Ich will euch ja gern alles erzählen«, versprach er,
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