Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
Laura. Schließlich weiß ich, dass du nur helfen wolltest. Ich hätte nie annehmen dürfen, dass du aus reiner Boshaftigkeit zur Kleptomanin wirst.« Ich schaute in die bedrückten Gesichter ringsum. »Jetzt kommt schon, Leute! Das ist doch nicht das Ende der Welt. Zumindest noch nicht.«
Sie glaubten mir ganz offensichtlich nicht, waren jedoch zu höflich, um mir das ins Gesicht zu sagen. Also zwang ich mich zu Heiterkeit, sowohl mir als auch ihnen zuliebe. Wenn ich keine Zuversicht vortäuschte, würde ich wirklich bald hysterisch werden, und das könnte über Monate anhalten.
»Ich sag euch was: Wir kriegen das hin. Und ich geb einen Scheiß darauf, wie viele Gesetze wir dafür brechen oder wie viel Blut wir dafür trinken müssen. Wenn wir lügen müssen, dann tun wir’s.«
Marc rieb sich die Schläfen und starrte zu Boden. »Die Zeit ist ein Rad.«
»Fang nicht schon wieder mit diesem Rad an! Wenn wir betrügen müssen, dann machen wir das.«
Er rieb fester. »Irgendwie kommt mir das bekannt vor …«
»Gott ist mein Zeuge: Sinclair wird nicht noch einmal gehäutet werden!«
»Das ist lieb von dir, mein Herz.« Das klang aufrichtig – bis Sink Leer die Hand zum Mund hob, um sein Lachen mit einem Hüsteln zu kaschieren, dem ein falsches Räuspern folgte.
»Ich glaube, ich habe mich gerade wieder frisch in dich verliebt.«
»Vom Winde verweht!«, rief Marc aus und sprang auf seine Zombie-Beine. »Du stiehlst Zitate aus dem Nachlass von Margaret Mitchell, du diebische Elster!«
»Tu ich nicht! Und ich bin kein Dieb. Okay, es stimmt. Aber wen juckt’s? Konzentrier dich lieber, Lazarus! Wir kriegen das hin. Denn wir müssen! Okay?«
Ich zwang mich zu einem Lächeln. Die anderen ahmten es nach, und so standen wir da und lächelten krampfhaft, was das Zeug hielt.
25
Als wir Stunden später endlich allein waren, streckte Sinclair seine Arme aus, und ich schmiegte mich hinein. Wir begannen, einander auszuziehen, doch dann hörten wir Marc im Haus umhertappen. Zweifellos auf der Suche nach einem neuen Projekt. Eine Tür anstreichen. Ein Regal ausrichten. Eine Katze sezieren.
»Schon seltsam: Jetzt, da wir wissen, dass er hier ist, ist es unmöglich, ihn nicht zu hören.«
»Ich kann nicht«, stöhnte ich und trat einen Schritt zurück. »Ich kann einfach nicht, Sinclair. Im Haus schleicht ein überwacher Zombie herum, und es steht offenbar geschrieben, dass ich dich eines Tages häuten und ein Buch aus dir machen werde.«
»Das ist der Geilheit nicht besonders zuträglich«, gab er zu und brachte mich zum Lachen, da er dieses Wort noch nie benutzt hatte.
Wir gingen zu Bett und stellten uns schlafend. Er mit seinen Sorgen, und ich mit den meinen.
Ich ging meine To-do-Liste durch:
1) Marc retten
2) Die Zukunft retten
3) Gefrorene Erdbeeren besorgen
4) Mich selbst retten und/oder mich töten
5) Ant daran erinnern, dass sie bis in alle Ewigkeit diese dämliche Betonfrisur in Form einer Ananas tragen wird
6) Baby Jon abholen, nachdem die Zukunft gerettet ist (falls ich nicht Selbstmord begangen habe)
7) Schlussverkauf bei Macy’s nicht verpassen
Da hatte ich ja eine Menge zu tun! Ich sollte besser gleich anfangen. Oder zumindest mehr tun als bislang. Sogleich drängte sich mir die Sorge um Baby Jon und Mom auf. Sie hatten mit allem nicht das Geringste zu tun, sie durften nichts von der drohenden Katastrophe erfahren, bis ich sie behoben hatte oder aber von der Bildfläche verschwunden war. Das war etwas so Elementares, dass ich, ohne eine Umfrage zu starten, bereits wusste, dass jeder meiner Mitbewohner mit mir einer Meinung wäre. Also: kein Wort zu Mom, kein Kontakt zu Baby Jon. Vielleicht niemals mehr, wenn die Dinge sich so entwickelten, wie ich befürchtete.
Ich dachte an den Baby Jon der Zukunft … er war bei Weitem das Beste der Zukunft gewesen. Ein gut aussehender, liebenswerter Mann. Mit einem großen Herzen. Und zum Glück völlig normal … weder ein Vampir noch sonst ein übernatürliches Wesen, soweit Laura und ich das hatten beurteilen können.
»Baby Jon!«
»Au, Mann!« Der erwachsene Prachtkerl Baby Jon begrub sein Gesicht in den Händen. Er ließ sie wieder sinken und schüttelte ungläubig den Kopf. »Diesem Kosenamen bin ich schon vor einer ganzen Weile entwachsen, Mom.«
»Mom?«
»Okay, technisch gesehen bist du meine große Schwester … wie du auch Tante Lauras große Schwester bist …«
»Tante L…«
»Aber als ich aufwuchs, da habe ich dich Mom genannt. Wenn
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