Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
dir das jedoch wahnsinnige Angst macht, weil ich in eurer Welt immer noch in die Windeln scheiße …«
»Du hast schon eine seltsame Art, dich auszudrücken«, warf Laura ein.
»Seht mal, ich versuche ja verzweifelt, dieses ganze Reinlichkeitsgedöns möglichst schnell zu lernen, aber schließlich und endlich ist es so, dass ich in eurer Zeit ganz furchtbar mit fäkaler und urinaler Inkontinenz beschäftigt bin.« Er warf die Hände hoch. »Tragt’s mir nicht nach!«
Es war zu viel. Ich brach in Lachen aus. Und Baby Jon – ›Jon‹ sollte ich jetzt wohl sagen – stimmte in mein Lachen ein. Das war irgendwie nett. Unser gemeinsames Lachen blieb mir noch lange in Erinnerung, denn es sollte der einzige nette Augenblick der insgesamt neunzig Minuten bleiben, die wir in der Zukunft zubrachten.
Ich wälzte mich ruhelos im Bett herum. Sinclair lag neben mir wie ein Felsblock. Dachte nach oder meditierte oder war total fertig. Ich wusste es nicht. Was ich hingegen wusste, war, dass ich nicht wegpennen konnte, eine Erfahrung, die ich in meinem untoten Leben höchst selten gemacht hatte. Verdammt, meistens kippte ich um, sobald die Sonne aufging, was den meisten Mitgliedern unseres Haushalts häufig Anlass zu unbotmäßiger Erheiterung war.
Na toll. Was hatte ich jetzt von der Evolution?
Bitte, lieber Gott, mach, dass es nicht wahr ist! Bitte, lieber Gott, sag, dass sie mich reinlegen wollen! Bitte!
Ich tu auch alles, was du willst. Nur um ihn zu retten, würde ich mir die Kugel geben. Aber hilf mir, Gott, denn ich kann es nicht allein! Hilf der Vampirkönigin, ja? Hilf mir und ich will dir auch einen großen Gefallen tun. Hilf mir und ich werde … Ich überlegte, was ich im Gegenzug tun könnte. Ich hab’s! Ich nehme ein bisschen von Sinclairs unermesslichem Reichtum und kaufe eine Filiale von Payless-Schuhen. Und arbeite dort. Tag für Tag. Ich schiebe Doppelschichten bis in alle Ewigkeit. Ich verkaufe Billigschuhe an jeden, der sie haben will. Ich veranstalte diese dämlichen »Kaufe ein Paar und du kriegst das zweite zum halben Preis«-Ausverkäufe. Wenn Sinclair nur leben darf. Wenn ich ihn nicht umbringe.
Bitte, lieber Gott, mach, dass es nicht wahr ist!
Ich hatte keinen Schimmer, worüber Sinclair nachdachte. Unsere telepathische Verbindung war unterbrochen, oder aber er hielt seine Gedanken vor mir geheim. Ich konnte es ihm nicht verübeln.
Doch es schmerzte.
26
Als ich am Nachmittag um Viertel vor fünf aufwachte, war Sinclair verschwunden. Er brauchte nicht so viel Schlaf wie ich, sondern konnte tagsüber seinen zahlreichen Hobbys nachgehen, wenn er nur die Sonne mied. Oft hielt er sich in seinem Arbeitszimmer auf oder las irgendeinen der langweiligen und mottenzerfressenen Folianten unserer Bibliothek. Ich hatte überhaupt kein Verlangen, ihn zu suchen oder zu sehen. Verflucht, nach dem, was wir letzte Nacht erfahren hatten, konnte ich ihn ja kaum noch ansehen.
Ich vernahm Schritte, mühsame, schwangere, watschelnde Schritte. Dann klopfte es, und ich sagte müde: »Komm rein, Jess!«
In all ihrer großartigen Gewaltigkeit stand sie auf der Schwelle, in jeder Hand ein Fünfzehn-Zentimeter-Sandwich von Subway balancierend. »Laura hat uns erzählt, was los ist«, begann sie. »Wie können wir dir helfen?«
Da ich eine gelassene, untote Monarchin bin, dankte ich ihr höflich. Will sagen, ich stieß einen Schrei aus und stürzte auf sie zu, brach weinend an ihrer Schulter zusammen. Jessica taumelte einen Schritt zurück, bevor sie ihr Gleichgewicht wiedergewann.
»Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun?«
»Dir fällt schon was ein, Bets. Und du bist nicht allein.« Salatblättchen fielen aus ihrem Sandwich auf meinen Rücken, während sie mir ihren Zwiebelatem ins Gesicht hauchte. »Wir alle helfen dir. Alle. Das ist doch der reinste Quatsch. Du würdest Sinclair nie etwas antun. Und selbst, wenn … Es ist ja noch gar nicht passiert. Es könnte geschehen, aber jetzt bist du ja vorgewarnt. Okay?«
»Okay … aua!«
»Was ist?«
»Dein Bau … dein … ähm, anbetungswürdiges Baby hat mich gerade getreten.«
»Willkommen in meiner schwangeren Welt«, gab sie ungerührt zurück.
Genehmigt. Ich löste mich aus ihrer sandwichtriefenden, babytretenden Umarmung und nestelte einen Tomatenschnitz aus meinen Haaren. »Danke dir. Ich weiß, es ist eine Phrase, aber das hab ich echt gebraucht.«
»Kein Problem.«
»Und du hast echt recht. Ich würde ihm nie etwas antun. Und dieses Buch der
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