Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
nur eben kein Buch, das ich zweimal lesen würde. Und gerade jetzt ganz bestimmt nicht.
Die Filmfassung jedoch, das war eine ganz andere Geschichte. Denzel Washington in der Rolle des Creasy ist davon überzeugt, dass das kleine Mädchen, gespielt von Dakota Fanning, entführt worden ist (was stimmt) und ermordet wurde (was nicht stimmt). Also legt er sich mit einer Bande böser Buben an und verprügelt böse Buben und schneidet Teile aus ihnen heraus und erschießt ein paar, und dann rettet er Dakota Fanning, und sie kann wieder nach Hause zu ihrer Mama. Ja, jetzt war definitiv der Zeitpunkt, um sich
Mann unter Feuer
anzutun und nicht einen Sean Penn, der die Todesspritze kriegt, während seine Nonnenfreundin hilflos zuschaut und betet und heult. »Wo ist der verdammte Film? War doch neulich noch da, als Marc mich wegen … was anderem foppte. Wo zum Teufel ist die DVD ?«
»Sie … ist hier. Siehst du? Du hast sie versehentlich unter dem Stapel begraben, als du herumgewühlt hast.«
»Ausnahmsweise mal keine Metapher für etwas Grauenhaftes«, brummte ich. »Guckst du mit?«
»Betsy«, sagte meine Freundin mit einer Miene, die deutlich verriet, wie sorgfältig sie ihre Worte wählte. »Am Ende stirbt Creasy. Er rettet das Mädchen … und dann stirbt er.«
Ich sah sie an. »Und?«
Darauf wusste sie nichts zu sagen.
Und ich wohl auch nicht.
»Du solltest froh sein, dass ich endlich mal dazu komme, all die Filme zu sehen … wo wir doch gerade so viel mit dem Tod zu tun haben.«
»Ich bin ja auch irgendwie froh«, gestand Jess so zaghaft, dass ich lächeln musste.
»Filme? Kabelfernsehen? Tatsächlich? Das ist dir jetzt am wichtigsten?«
Ich schaute nicht einmal hin, sondern widmete mich der Aufgabe, die zahlreichen Dosen im Schrank unterzubringen. »Schleich dich, erbärmliches Ich!«
»Herrgott noch mal.« Hmm. Mein böses altes Ich konnte also immer noch das dritte Gebot brechen. Moment mal. Oder war es das fünfte? »Ich habe Marc in der Zeit zurückgeschickt, damit er dir hilft.«
»Ach ja, und er war eine großartige Hilfe!« Ich blitzte sie wütend an. »Er ist hier rumgeschlichen und hat irre gekichert und alle wahnsinnig gemacht und unseren Marc dazu gebracht, Selbstmord zu begehen. Und lass endlich meine Klamotten in Ruhe!«
»Oh Gott.« Jessica machte große Augen. »Ich sehe es, doch ich kann es nicht glauben.«
»Oh. Ja. Hallo.« Mein unhöfliches älteres Ich nickte meiner (unserer) besten Freundin oberflächlich zu. »Du siehst rundlich aus.«
Ich umklammerte die letzte Dose Preiselbeergelee, die ich noch nicht weggeräumt hatte. Genau zwischen die Augen … das sollte ihrem Tag eine nette Beule verpassen. Von ihrem Schädel ganz zu schweigen. »Pass auf, wie du mit ihr redest, du Kleiderklau!«
»Ich bin hier, weil … Ach, das geht euch nichts an.«
»Siehst du?«, sagte ich triumphierend zu Jessica.
»Ja, diese Geheimniskrämerei ist definitiv ärgerlich«, stimmte meine kluge, liebste beste Freundin zu.
»Du bist nicht nur an der Reihe, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, es ist sogar deine verdammte Pflicht! Was soll ich denn machen … dir die Anweisungen auf die Stirn tätowieren?«, meckerte mein älteres Ich.
»So kannst du nicht mit dir reden!«, schimpfte Jessica.
»Du hörst, aber du hörst nicht zu. Du siehst, aber du verstehst nicht.«
»Ich furze, aber ich stinke nicht. Ich wasche mir die Haare, nehme aber keine Spülung. Was machst du hier? Was mache ich überhaupt hier, du grässliches, hinfälliges Weib?«, fuhr ich sie an.
»Boah«, ließ sich Marc vernehmen, der in diesem Augenblick hereinwankte. Okay, »Wanken« war vielleicht nicht die richtige Bezeichnung. Marcs Gang war mehr oder weniger wie zu seinen Lebzeiten. Ich musste es mir dringend abgewöhnen, alle Zombies über einen Kamm zu scheren. Zwar habe ich den Begriff politisch korrekt schon gehasst, lange bevor er in Mode kam, doch auch an dieser Einstellung musste ich etwas ändern.
Marc wankte nicht, er stöhnte auch nicht »Hiiiiirrrn« und befummelte verängstigte Mitbewohner, er starrte nicht mit leerem Blick vor sich hin (außer, wenn er Drogo in Game of Thrones sah, doch das war zu seinen Lebzeiten auch nicht anders gewesen). Alles das tat er nicht. Er war zwar ein Zombie, aber immer noch Marc. Er war immer noch mein Freund, und ich seine gute Freundin. Da ich es stets übel nahm, wenn man mich als seelenlose, blutsaugende Gewaltherrscherin mit einer dämlichen Vorliebe für schicke Schuhe (als
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