Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
zu sein und dich um Hilfe zu bitten?« Jessica spazierte neben mir den Gang im Supermarkt entlang und stopfte sich mit grünen Trauben voll. »Das ist ja unheimlich. Oder ein Trick. Oder ein unheimlicher Trick.«
»Wem sagst du das?«, brummte ich düster. »Ich glaube, ich mag mein runzliges Ich lieber, wenn sie ein arrogantes Arschloch ist.«
»Zum Glück habe ich ein Nickerchen gemacht und es verpasst.«
Das kannst du laut sagen, Süße. »Tja. Ich wünschte nur, ich hätte das auch verpasst.«
»Nix da. Schließlich genießt du ja alle Vorteile der Königin.« Eine weitere Traube wanderte in ihren gierigen Mund. »Unangenehmes gehört auch zum Job dazu.«
»Vorteile, ach ja? Nennt man das jetzt so?« Ich streckte den Arm aus und schaufelte zwei Dosen Preiselbeergelee in unseren Einkaufswagen. »Vorteile! Pah!«
Doch sie ging auf meinen Einwand gar nicht ein. »Nein, nicht die da. Nimm die echten!«
Ich beäugte die beiden Dosen, die zusammen mit der Süßkartoffeldose im Einkaufswagen umherrollten. »Das sind die echten.«
»Preiselbeeren haben doch keine Dosenform. Ergo sind das keine echten.«
Ich überlegte, ob ich sie mit dem Einkaufswagen über den Haufen fahren sollte, hielt mich jedoch zurück. Wahrscheinlich hätte ein mickriger Einkaufswagen ohnehin nicht ausgereicht, um ihre Masse zu Fall zu bringen. »Ich hänge wirklich in einem Teufelskreis fest, Jess. In einem gottverdammten Teufelskreis.«
»Fängst du schon wieder damit an!«
»Ich muss Marc den Zombie beschäftigen, während mein altersschwaches Ich aus irgendwelchen mysteriösen Gründen, über die sie nicht sprechen will, in ihrer Vergangenheit rumsumpft. Du bist ganz schrecklich schwanger, Sinclair geht mir aus dem Weg, damit ich ihn nicht aus Versehen häute und auf ihn kritzele, Nick ändert ständig seinen Namen, ich habe dummerweise beschlossen, ein Thanksgiving-Dinner zu geben, Mom trifft sich mit einem Kerl, der wie ein Riesenbaby aussieht, und zu allem Überfluss habe ich meinen Bruder Baby Jon seit Tagen nicht mehr gesehen und traue mich auch nicht, ihn irgendwo in die Nähe der Villa zu lassen. Das nenne ich einen gottverdammten Teufelskreis!«
»Preiselbeeren in Dosen sind armselig.«
»Preiselbeeren in Dosen sind das Einzige, was ich an Thanksgiving mag.« Ich schaufelte noch zwei Dosen in den Einkaufswagen. »Preiselbeeren sind das Einzige, was mich noch mit meiner sogenannten geistigen Gesundheit verbindet.«
»Dann kauf wenigstens echte Süßkartoffeln.«
»Süßkartoffeln in Dosen sind echt, du gefräßige Harpyie!«
Sie drohte mir mit der inzwischen halb leeren Traubentüte. »Willst du mir etwa Komplexe einjagen? Ich erschaffe neues Leben!«
»Ja, ja. Dabei fällt mir ein, es ist schlechterdings nicht möglich, dass du erst im Sommer wirfst.«
»Aber sicher ist das so.«
»Jessica. Ernsthaft. Sieh dich doch nur an … und ich sage das wirklich in aller Liebe. Aber sieh dich doch nur mal an! Du bist riesig!«
»Vielleicht habe ich mich verrechnet.« Sie zuckte mit den Schultern. Schluck, schluck, und noch mehr Trauben verschwanden in ihrem gefräßigen Schlund. Ach, zum Teufel, wenn es ihr egal war, dann mir schon lange. Wahrscheinlich war sie wegen des Chaos, das unser Leben in den letzten Jahren gewesen war, mit den Daten durcheinandergekommen.
»Das gehört zu den Dingen, die unbedingt auf unsere Liste müssen«, erklärte ich.
»Wovon zum Henker redest du da?«
»Kümmere dich nicht drum, wir sprechen später darüber. Denn jetzt gerade hab ich wichtigere Probleme.« Ich beäugte ihren Bauch. Gefühlsmäßige Probleme, ganz bestimmt keine physischen … »Rück mal ein Stück, ich muss an den Truthahn ran!«
»Weißt du überhaupt, wie man Truthahn macht?«
»Gott macht die Truthähne, nicht ich. Ich weiß aber, wie man sie zubereitet.« Nachdem ich das College geschmissen hatte, war ich eine Zeit lang eine glühende Anhängerin von Martha Stewart gewesen. Jessica (die damals ihren Abschluss in Psychologie gemacht hatte) erklärte das damit, dass ich versuchte, die Kontrolle über meine Umgebung zu gewinnen, da ich mich nach dem Rausschmiss vom College sehr unsicher fühlte. Nachdem ich abgebrochen hatte, meine ich.
Ich wusste auch, wie man eine »echte« Preiselbeersauce zubereitet, war jedoch der Meinung, dass diese Früchte ohnehin überbewertet werden. Wer will schon den ganzen Abend Preiselbeerschalen aus seinen Zahnzwischenräumen pulen? Bäh. Eine schöne Dose Preiselbeergelee war da auf
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