Werbevoodoo
Ähnliches geträllert hätte. Es war, wie es war. Ein leichtes, weiches Herz. Das Marianne Thamm ihm einfach so anvertraut hatte.
Mit einem mulmigen Gefühl öffnete er die Haustür. Es war still im Haus, offenbar hatten sich die Kinder beruhigt.
»Mhm, riechen Sie gut«, flüsterte Marianne Thamm im Vorbeigehen. Wondrak ärgerte sich, dass die Tarnung seiner Parfümierung aufgeflogen war. Das bisschen Fahrradfahren hatte ihn so erhitzt, dass aus dem Hauch ätherischer Öle an seinem Hals eine Parfümdampfwolke geworden war.
Wondrak gab ihr den Schlüssel zurück. Marianne Thamm nahm ihn und sagte: »Kommen Sie!«, und führte ihn ins Wohnzimmer. »Das war der Schlüssel von unserem Kindermädchen, Selena.«
»Die tödlich verunglückt ist?«, fragte Wondrak.
»Verunglückt kann man nicht sagen. Sie ist an einem Herzstillstand gestorben. Bei sich zu Hause. Während sie auf ihren Freund gewartet hat.«
»Furchtbar. Ihre Kinder vermissen sie?«
»Ja, sie hatte eine unglaubliche Art, mit ihnen umzugehen. Sie konnte sich so gut in sie hineinfühlen, dass ihr die Kinder voll vertrauten. Wenn einer weinte, wusste Selena sofort, warum. Sie musste gar nicht nachfragen, sondern nahm den Arm, auf den Konstantin gefallen war, in die Hand, streichelte ihn, pustete drauf, und schon war es wieder gut. Es war, als könnte sie ihre Gedanken und Gefühle erraten. Sie stand mit ihnen in einer so engen Verbindung, dass ich zeitweise darauf eifersüchtig war. Eine einzigartige Gabe. Ich vermisse sie auch, sie hat so eine Ruhe in unser Haus gebracht; seit sie nicht mehr da ist, fühlt es sich nicht mehr vollständig an.«
»Dann war Selena der Grund, warum Charlotte bei Ihnen eingezogen ist? Hatten die beiden auch so eine besondere Verbindung?«, fragte Wondrak.
»Ja, Sie haben ja gesehen, wie sie überall nach ihr gesucht hat. Und als sie gemerkt hat, dass Selena nicht da ist, wollte sie auch nicht mehr bleiben.«
»Das muss wirklich eine besondere junge Frau gewesen sein. Haben Sie ein Foto von ihr, Frau Thamm?«
»Ach – können wir uns nicht duzen? In meinen eigenen vier Wänden zu siezen kommt mir komisch vor. Sag doch bitte Marianne.«
»Klar, ich bin Thomas.«
Marianne ging zum Kaminsims und nahm einen Bilderrahmen in die Hand. »Sie hatte oft so einen leicht traurigen Ausdruck im Gesicht. Im Nachhinein lässt sich da natürlich eine Menge hineininterpretieren.«
»Was interpretierst du denn hinein?«
»Selena wusste alles. Wahrscheinlich auch, dass sie früh sterben würde. Vielleicht wollte sie deshalb so schnell wie möglich ein Kind von ihrem Freund. Das ist er, Timo, er arbeitet bei meinem Mann in der Agentur. Der ist ein ganz Guter, sagt er.«
Wondrak nahm das Bild in die Hand. Es zeigte zwei junge Menschen, die sich aneinanderklammerten. Sie schauten in die Richtung des Fotografen, aber eigentlich sahen sie ihn nicht an. Beide blickten ernst, und doch war es ein Bild des vollkommenen Glücks. Wondraks Herz zog sich bei diesem Anblick kurz zusammen, er fühlte einen Stich in der Brust. Was war das? Neid, angesichts dieser Liebe? Mitgefühl für Tom? Die Wirkung von Selenas Blick? Ach, alles nur Einbildung, Wondrak, reiß’ dich zusammen! Er rieb sich seine linke Brust und fragte Marianne: »Sag mal, gibt es viele Werbeagenturen in Starnberg?«
»Nein, nur ein paar kleinere Büros. SCP, die Agentur, in der mein Mann arbeitet, ist bei Weitem die größte.«
»Glaubst du, dass es irgendeine Verbindung zwischen der Arbeit von Timo und dem Tod von Selena gibt?« In dem Moment, als er die Frage ausgesprochen hatte, bereute er sie schon wieder. Was stellte er hier für haarsträubend absurde Fragen? Gott sei Dank lief kein Tonband mit.
Doch Marianne fand die Frage überhaupt nicht absurd. Stattdessen antwortete sie: »Selena war mit allem verbunden. Sie fühlte mit jedem, den sie mochte. Und sie litt mit jedem, den sie mochte.«
»Hatte denn ihr Freund – Timo – in der Agentur zu leiden?«
»Praktikanten haben meistens zu leiden, das ist immer so. Doch das macht ihnen nichts aus, weil sie mit so viel Begeisterung dabei sind. Aber wenn Sie Genaues wissen wollen, müssen Sie Tom fragen, der sollte eigentlich jeden Augenblick kommen, er hat vorhin angerufen, als er losfuhr.«
Wondrak nahm verwundert einen ziemlich großen Schluck.
»Ich hab’ ja auch als Praktikantin angefangen«, erzählte Marianne. »Eigentlich komme ich aus Münster, studiert habe ich in Essen, Grafikdesign. In der Agentur in Hamburg
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