Werbevoodoo
habe ich Tom kennengelernt, und da war das auch nicht anders. Entweder du hältst den Druck aus, dann gehst du über Los, ziehst 1.000 Mark Gehaltserhöhung ein und gehst in die nächste Runde. Oder du bist raus aus dem Spiel.«
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss der Eingangstür. Wondrak sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Er hatte erstens kein Rendezvous mit Marianne, zweitens jeglichen Instinkt für die Deutung weiblicher Signale verloren und drittens einen Fall an der Backe, der ihm Herzstechen verursachte.
Tom kam ins Wohnzimmer. Ein groß gewachsener, freundlicher, alt gewordener Junge, der müde aussah.
»Tom, das ist Kommissar Wondrak.« Sie begrüßten sich mit einem Hallo.
»Diese Fahrerei macht mich wahnsinnig. Im Mai, Juni, Juli, wenn die Nächte lang sind, ist das ja schön, aber den Rest des Jahres ist die Gurkerei über die Dörfer einfach nur brutal. 25 Kilometer lang ein Misthaufen nach dem anderen. Oberbrunn, Unterbrunn, Gilching, Alling – ich kann es nicht mehr sehen.«
»Na ja, wenn Sie in München arbeiten würden, dann wären Sie länger unterwegs. Und würden nicht einmal Misthaufen sehen, sondern nur die Nummernschilder Ihres Vordermannes«, entgegnete Wondrak.
»Sie haben ja recht, Herr Wondrak. Marianne, ist noch was zu essen da?«, fragte Tom Thamm mit einem Blick auf die leere Platte auf dem Couchtisch.
»Ich mach’ dir schnell zwei Brote«, sagte Marianne im Aufstehen. »Bier oder Prosecco?«
»Bier.«
»Wir haben uns gerade über Selena und Timo unterhalten. Der arbeitet in Ihrer Agentur?«
»Ja, Timo ist unser aufsteigender kleiner Superstar. Seine Résistance-Kampagne ist der größte Erfolg in der Agenturgeschichte. Der Kunde schickt uns jeden Tag ein Dankschreiben mit den Absatzzahlen, das ist eine Welle, die jeden Tag größer wird. Da hat der alte Schneidervater mal wieder den richtigen Riecher gehabt.«
Marianne kam herein mit einem Teller, auf dem ein liebloses Käsebrot und ein ebensolches Exemplar mit Schinken lagen. Sie stellte die Bierflasche auf dem Tisch ab und warf Wondrak einen kessen Seitenblick zu. Nun kannte er sich gar nicht mehr aus.
Tom würdigte weder den Teller noch das Bier noch seine Frau eines Blickes, sagte nur: »Danke«, und setzte seine Erzählung fort, während er sich das erste Brot zwischen die Zähne schob. »Kennen Sie die Résistance-Kampagne?«
»Sie meinen diese ›Vive la Résistance!‹-Geschichten mit dem Liebhaber und dem Nazi-Ehemann?«
»Sie finden, dass der Ehemann wie ein Nazi aussieht?«
»Na ja«, präzisierte Wondrak, »ich finde, er sieht aus, wie sich das amerikanische Kino einen deutschen Nazi vorstellt. Das ist ja mittlerweile ein international genormter Stereotyp, nicht wahr?«
»Sehr gut, Sie haben’s hundertprozentig durchschaut. Und wie finden Sie’s?«
»Sehr ansprechend. Ich finde die Konstellation Ehemann/Liebhaber«, er schickte einen kleinen Augenaufschlag zu Marianne, die ihn gekonnt auffing, »wirklich aufregend. Nicht neu, aber aufregend. Ich habe sogar überlegt, Résistance mal auszuprobieren, aber ich vermute, dass es sinnlos ist, bisher hat es noch kein Duft geschafft, gegen mein Jazz von Yves Saint Laurent anzukommen.«
»Und genau deshalb werden wir im nächsten Durchgang auch duftende Anzeigen machen. In der Anzeige wird eine Tür sein, die lässt sich öffnen, und dahinter ist dann die Duftbedruckung. Und das Tollste ist, dass die Kampagne bereits fast auf dem Weg in den Mülleimer war. Die Putzfrauen in der Agentur kommen morgens immer gegen sieben und reißen alle Fenster und Türen auf, um frische Luft hereinzulassen. An dem Tag kam auch unser Chef früher ins Büro und hörte ein Heulen und Gezeter im Konferenzsaal. Ein Putzmann beschimpfte eine Putzfrau, weil der Luftzug ein paar Präsentationspappen auf den Boden geweht hatte, und die Ecken kaputt waren. Glaubten sie. › De scheeene Pappe! Alles kaputt! ‹ «, imitierte Tom den Tonfall. »Der Chef beruhigte die beiden, und als dann die erste Praktikantin kam, bat er sie, die Bilder neu aufzuziehen. Und die erzählte ihm eine ungeheure Geschichte: Der Olanger, einer unserer Art-Directors, hat in einem Tobsuchtsanfall die Entwürfe, die Timo entwickelt hatte, auf den Boden geschleudert, weil er sie schlecht fand. Aber der Chef war da etwas anderer Meinung. Der fand die Motive genial. Und er sollte recht behalten. Also haben wir sie dem Kunden präsentiert und jetzt dieser Erfolg! Ein Wahnsinn ist das. Sie können sich
Weitere Kostenlose Bücher