Werden sie denn nie erwachsen?
wir uns einem größeren Platz näherten, auf den ein halbes Dutzend Straßen mündeten. »Wo, um alles in der Welt, geht’s denn jetzt weiter?«
Das wußte ich auch nicht. »Fahr einfach dem Hauptverkehrsstrom hinterher.«
Der schob sich durch eine breite Geschäftsstraße, die weiter hinten vor einem Bauzaun endete. Ein Umleitungsschild deutete nach rechts in eine schmale Einbahnstraße. »Wenn das nur gutgeht«, zweifelte Steffi, als sie das unhandliche Wohnmobil vorsichtig um die Ecke bugsierte. Es ging gut, doch nur dreihundert Meter weit, dann war endgültig Feierabend. Die Umleitung mündete rechtwinklig in eine genauso enge Straße, und da kamen wir nicht mehr herum. Ja, wenn dort keine Häuser gestanden hätten oder wenn es wenigstens einen vernünftigen Gehsteig gegeben hätte statt dieses handtuchschmalen Weges … So aber saßen wir fest. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Fahrräder hatten sich an einem Fensterladen verhakt, und unser linkes Vorderrad klemmte zwischen einer Treppenstufe und einem verwitterten Grenzstein.
»Das war’s dann wohl.« Steffi stellte den Motor ab und forderte mich zum Aussteigen auf. »Ich kann nicht. Auf meiner Seite geht die Tür nicht mehr auf.«
Hinter uns begann ein ohrenbetäubendes Hupkonzert, untermalt von wenig freundlichen Kommentaren, die aber schnell verstummten, als die ersten zwanzig Autofahrer ausgestiegen waren und sich um das Hindernis versammelt hatten.
»Jetzt bist du dran«, sagte Steffi lakonisch. »Ich kann kein Französisch.«
Daß ich es auch nicht konnte, wurde den Umstehenden schnell klar, nachdem ich den auf mich einprasselnden Wortschwall immer nur mit einem hilflosen Achselzucken quittiert hatte. Ich weiß nicht, was diese liebenswürdigen, hilfsbereiten Menschen sprachen, es mußte wohl ein fast ausgestorbener provenzalischer Dialekt gewesen sein, jedenfalls verstand ich kaum ein Wort. Der erste Flic tauchte auf, kurz darauf waren es schon drei, die aber gleich wieder verschwanden, um das hinter uns entstandene Verkehrschaos zu entwirren. Ihre schrillen Pfeifen hörten wir noch lange.
»Steffi, paß auf, da klaut einer unsere Räder!«
Doch der junge Mann löste nur die Fahrräder aus ihrer Verankerung und schuf auf diese Weise einen halben Meter Freiraum nach hinten. Zwei andere, einer davon in hellgrauen Flanellhosen, versuchten, das Fahrzeug vorne aus seiner Umklammerung zu befreien, schafften es jedoch nicht. »Point!« schrie einer, wobei er immer wieder zum Führerhaus deutete.
»Was will er?«
»Ich weiß es doch nicht«, jammerte ich entnervt. »Wer hatte denn Anfang der fünfziger Jahre schon ein Auto? Technische Vokabeln haben wir in der Schule nie gelernt.«
Schließlich verlor die Flanellhose die Geduld. Sie enterte das Wohnmobil und legte den Leerlauf ein. Nun wußte ich, was »point« bedeutete. Daß wir inzwischen als hoffnungslose Idioten abgestempelt waren, nahm ich hin, doch wir waren ja auch zwei Frauen, und diese Tatsache mußte wohl in den ausnahmslos männlichen Franzosen edelmütige Instinkte geweckt haben. Jedenfalls nahm ein bulliger Typ mit Vollbart und Zigarettenkippe im Mundwinkel den Platz der Flanellhose ein, ließ den Motor an, legte den Rückwärtsgang ein und schaffte es nach mehrmaligen Versuchen tatsächlich, das eingeklemmte Vorderrad freizubekommen. Danach begann die Feinarbeit. Ich weiß nicht mehr, wie oft er den Wagen vor- und zurücksetzte, durch Zurufe von außen dirigiert, das Steuer neu einschlug, wieder ein bißchen Spielraum gewann, wieder in den Rückwärtsgang schaltete …
Wer sich von Franzosen gesteuerte Autos einmal genauer ansieht, wird feststellen, daß es kaum einen Wagen ohne Schrammen und Beulen gibt. Für unsere Nachbarn ist ein Auto nichts anderes als ein Gebrauchsgegenstand und eine Delle in der Stoßstange nur ein Beweis dafür, daß sie ihren Zweck erfüllt hat. Ein eingebuffter Scheinwerfer? Kein Problem, Hauptsache, das Licht brennt noch. Kratzer im Kotflügel? Macht nichts, er wird nicht der einzige bleiben. Außenspiegel zersplittert? Na, wennschon, innen ist ja noch einer, und bei Gelegenheit wird man schon mal einen neuen besorgen.
Kein Wunder also, daß ich pausenlos Stoßgebete gen Himmel schickte, während unser Helfer das Wohnmobil zentimeterweise um die Ecke lavierte. In Gedanken überschlug ich den Inhalt der Reisekasse, in der aufwendige Reparaturen nicht vorgesehen waren, hatte auch keine Ahnung, was eine neue Tür oder gar eine Rundumlackierung
Weitere Kostenlose Bücher