Werden sie denn nie erwachsen?
aufgerafft. Wir waren schon auf dem Rückweg, als sie scharenweise über uns herfielen. Wer?
Die Mücken!!! Stefanies gelbe Bluse hatte es ihnen angetan. Das behauptete sie jedenfalls, obwohl ich eher auf ihr Haarspray tippte, das jeden mit einem normalen Geruchssinn ausgestatteten Menschen in die Flucht treibt, aber vielleicht bei Mücken das Gegenteil bewirkt. Im Dauerlauf legten wir die restliche Strecke zurück, stürzten ins Wohnmobil und schlugen sofort die Tür hinter uns zu.
Ein paar von den Viechern hatten es aber trotzdem geschafft. Steffi benutzte den Schneebesen, ich das Wörterbuch (Mücke = moustique), aber wir haben sie alle erwischt. Wichtigste Regel für die nächsten Tage: Vor dem Öffnen der Tür Licht aus, mit einem Handtuch die surrenden Vorposten wegwedeln und hinter sich die Tür sofort wieder schließen. Alternative: Ab Einbruch der Dämmerung gar nicht mehr rausgehen.
Doch sobald morgens die Sonne durch die Jalousien blinzelte und beim Frühstück mitten auf der Wiese die erste Biene ins Marmeladenglas fiel, hatten wir alles wieder vergessen. Es war so friedlich hier, so ruhig, kein Mensch störte uns, und wenn gelegentlich auf dem Fluß ein Hausboot vorübertuckerte, brauchten wir nicht einmal die griffbereit liegenden T-Shirts über unsere Badeanzüge zu werfen; die auf dem Kahn hatten meistens noch weniger an.
Am vorletzten Tag hatte Steffi sogar eine mückensichere Ausgehkleidung kreiert: Jogginganzug, Hände in den Hosentaschen vergraben, auf dem Kopf ein Salatsieb und darüber, arretiert mit Wäscheklammern, eine von den Tüllgardinen, die normalerweise die schmalen Fenster zierten. Die flatternden Enden wurden oben in die Jacke gesteckt, Reißverschluß zu, fertig. Wahrscheinlich haben sich die Mücken totgelacht, jedenfalls hat uns keine mehr belästigt.
Wassermangel und das vermaledeite Chemieklo zwangen uns in die Zivilisation zurück. Darüber hinaus brauchten wir mal wieder Frischfutter. Das Bargeld ging auch zur Neige.
»Also«, sagte Steffi, die schon reichlich mitgenommen aussehende Karte ausbreitend, »wir fahren jetzt nach Aiguës-Mortes, von da weiter zur Autobahn, und die hat irgendwo hinter Marseille eine Abzweigung zur Küste runter. Da finden wir bestimmt einen Campingplatz.«
Das klang einleuchtend, nur: »Wie kommen wir nach Aiguës-Mortes? Oder weißt du genau, wo wir hier eigentlich sind?«
»Nein. Aber wir müssen nach Norden, die Sonne steht jetzt im Südosten, also fahren wir da lang.« Sie deutete in die Richtung eines kleinen Hügels mit vereinzelten Bäumen drauf.
»Da sehe ich bloß keine Straße.«
»Die werden wir schon finden.«
Eine ganze Weile hielt ihr Optimismus an, dann wurde ihre Stimme immer kläglicher. »Ich glaube, dieser Weg hier endet im Nichts.«
»Na und? Ist doch herrliches Wetter für eine Erdumkreisung.«
Ihre verbiesterte Miene wich einem schadenfrohen Grinsen, als sie auf die Bremse trat. »Da drüben geht jemand. Steig mal aus, und erkundige dich, wie wir zu diesem verdammten Aiguës Sowieso kommen.«
»Bist du verrückt? Gesetzt den Fall, der versteht
mich,
dann heißt das noch lange nicht, daß ich
ihn
verstehe.«
»Sei nicht so feige, versuch es wenigstens.«
Das Wörterbuch nahm ich vorsichtshalber gleich mit.
»Bonjour, Monsieur« – das zumindest war mit Sicherheit richtig –, »excusez-moi, où est la route à Aigues-Mortes?«
Das Bäuerlein kratzte sich am Kopf, dann nickte es zustimmend. Es hatte mich tatsächlich verstanden! Die Schwierigkeiten begannen auch erst, als es mir den Weg zu erklären versuchte. Erst weiter geradeaus, das begriff ich noch, dann sollten wir nach gauche abbiegen (war das nun links oder rechts? Keine Ahnung mehr, mußte ich gleich nachschlagen), nach cinq kilomètres käme un petit amo, und da gehe die Straße nach Aigues-Mortes devant.
»Vous ne pouvez pas la manquer.«
Ich bedankte mich höflich, ging zum Wagen zurück und suchte im Wörterbuch das zusammen, was ich nur unzulänglich hatte übersetzen können. »Also: Zuerst fährst du geradeaus, bei der nächsten Abzweigung nach links, dann kommt nach fünf Kilometern ein amo, und da führt die Straße nach Aigues-Mortes vorbei.«
»Was ist ein amo?«
»Weiß ich nicht. Ich hab’ keine Ahnung, wie sich das schreibt, sonst hätte ich es ja längst gefunden.
Wahrscheinlich ist es ein auffallendes Gebäude oder etwas in dieser Art, wir müssen eben aufpassen. Der Bauer hat jedenfalls gesagt, wir könnten die Straße gar nicht
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