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Werden sie denn nie erwachsen?

Werden sie denn nie erwachsen?

Titel: Werden sie denn nie erwachsen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Marina, Alassio – Ñamen, die in den fünfziger Jahren auf der Zunge zergingen und das Traumziel aller Deutschen waren, die sich damals schon eine Urlaubsreise leisten konnten. Noch ein bißchen früher pflegten in dieser Gegend abgedankte Potentaten ihr Zipperlein zu kurieren und russische Großfürsten den Untergang des Zarenreiches zu beklagen. Inzwischen fliegen deutsche Urlauber nach Thailand oder auf die Malediven, arbeitslose Könige gibt es nicht mehr, und die Russen kriegen keine Devisen. Italien gehört also weitgehend wieder den Italienern.
    Das merkten wir schon nach den ersten Kilometern. Der italienische Autofahrer unterscheidet sich vom deutschen insofern, als bei ihm nicht aufgeblendete Scheinwerfer das effektivste Mittel sind, andere Wagen an die Seite zu scheuchen, sondern die Hupe. Jeder Überholvorgang wird durch anhaltendes Hupen begleitet, und wenn man sich einer Kurve nähert, wird ebenfalls gehupt, damit der Entgegenkommende weiß, daß da gleich jemand mit achtzig um die Ecke schießt. Weshalb die Italiener Radios in ihren Autos haben, weiß ich nicht, hören können sie sie auf keinen Fall. Hatte Steffi noch das erste Dutzend Überholer als Volltrottel, Idioten und potentielle Selbstmörder bezeichnet, so gab sie die Schimpferei bald auf. »Müssen das herrliche Zeiten gewesen sein, als man hier noch mit Kutsche und zwei Pferden entlangfuhr. War es das, wovon du heute noch so schwärmst?«
    »Als ich das erstemal nach Loano gefahren bin, gab’s schon Autos«, entgegnete ich bissig, »bloß nicht so viele.
    Wo sind wir jetzt eigentlich?«
    »Woher soll ich das wissen? Ich denke,
du
kennst dich hier aus.«
    »Nicht mehr«, mußte ich kleinlaut zugeben. Wo war sie denn geblieben, die alte Via Aurelia, auf der schon die römischen Legionen marschiert waren? Das konnte doch unmöglich diese vierspurige Straße sein mit ihren Ampeln, den Parkbuchten und den nicht enden wollenden Verkehrsschildern? Wo waren die kleinen Fischerdörfchen, wo die Überreste jahrhundertealter Mauern, von Blütenkaskaden überrankt, die gerade jetzt im Mai ihren betäubenden Duft versprühen müßten? Wo waren die hübschen kleinen Badeorte mit ihren wenigen Hotels und der Handvoll Pensionen? Richtige Städte waren daraus geworden, die ineinander übergingen, vollgestopft mit Hochhäusern, Diskotheken, Schnellimbissen und Spielsalons.
    »Hübsch«, sagte Steffi. »Eigentlich noch viel schöner als in Frankreich! Bist du sicher, daß wir auf der richtigen Straße sind?«
    »Nein!!!« schrie ich sofort. »Das ist nicht die richtige Straße, die hat es damals noch gar nicht gegeben. Das ist auch nicht meine Riviera, wie ich sie kenne, das ist alles nur noch scheußlich!« Tränen der Enttäuschung standen in meinen Augen. »Wären wir bloß nicht hergekommen.«
    »Sascha hatte dich ja vor diesem Nostalgie-Trip gewarnt.«
    Das allerdings stimmte. Nur hatte ich mir einfach nicht vorstellen können, daß man innerhalb von drei Jahrzehnten eine Landschaft so verschandeln kann, wie es hier geschehen war. Einige neue Hotels, ja, die waren sicher nötig gewesen, meinetwegen auch ein paar Geschäfte, aber doch keine dreistöckigen Kaufhäuser und erst recht keine Sex-Shops. »Am liebsten würde ich umkehren.«
    »Hier kann ich nicht wenden«, sagte Steffi, »und außerdem sind wir schon in Loano.« Sie deutete auf das Ortsschild.
    »Das muß ein Irrtum sein! Zwischen Borghetto S.
    Spirito und Loano liegen mindestens sechs bis sieben Kilometer Niemandsland, und in Borghetto sind wir noch gar nicht gewesen.«
    »Doch, wir fahren gerade raus.«
    »Wieso? Ich denke, wir sind bereits in Loano?«
    »Meine Güte, Määm, nun begreif doch endlich!
Deine
romantischen Dörfer gibt es nicht mehr, das Ganze ist eine zubetonierte Steinwüste, und wo der eine Ort aufhört, fängt der nächste an. Wo soll ich jetzt abbiegen? Rechts? Links? Geradeaus weiterfahren? Ich nehme doch an, du möchtest ein bißchen auf vertrauten Pfaden wandeln? Die Hunde müssen auch mal raus.«
    »Fahr nach links. Da müßte gleich ein Sandweg kommen, der in die Berge führt.«
    Den Weg gab es noch, nur war er jetzt asphaltiert und endete vor einem Fabrikgelände. »Umdrehen?« fragte Steffi.
    Ich nickte. »Vielleicht finden wir am Meer einen Parkplatz.« Natürlich fanden wir keinen, und dann hatte ich plötzlich genug von dem ganzen Italien, wollte bloß noch weg. Wahrscheinlich hätte ich das Haus gefunden, in dem meine Mutter gewohnt hatte, und möglicherweise

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