Werden sie denn nie erwachsen?
gerade mein Bruder, könnte ich mich direkt in ihn verlieben.«
»Du hast schon immer einen seltsamen Geschmack gehabt«, meinte Katja nur.
Es dauerte wirklich nicht lange, bis Sascha zurückkam.
»Ich hab’ sie aus dem Bett geholt, sie muß sich erst anziehen.«
»Um diese Zeit? Es ist gleich elf.«
»Ja und? Wer gerade keinen Dienst hat, versucht immer, ein bißchen Schlaf nachzuholen. Außerdem hat sie irgendeine blöde Zahngeschichte.«
Das allerdings war nicht zu übersehen. Eine geschwollene Backe verunzierte das bedauernswerte Geschöpf, das sich jetzt zögernd zu uns gesellte. Es war ein außergewöhnlich hübsches Mädchen. Groß, sehr schlank, ein ebenmäßiges Gesicht mit ausdrucksvollen dunklen Augen, umrahmt von einer raffiniert geschnittenen Kurzhaarfrisur. Das Ganze steckte in einem pinkfarbenen Jogginganzug. Ich streckte ihr die Hand entgegen. »Es tut mir so leid, daß Sascha Sie hochgescheucht hat, aber …«
»Stopp, stopp!« unterbrach er mich. »Sie versteht dich nicht. Ich hätte vielleicht sagen müssen, daß sie Engländerin ist.«
O Gott, nicht schon wieder! »Dann übersetz ihr wenigstens meine Beileidsbezeugungen.«
Sascha schwafelte drauflos, Vicky lächelte schüchtern, nickte schließlich, sah sich suchend um und ging zu einem etwas klein geratenen Uniformierten hinüber, der gerade zwei eingeborene Händler von der Gangway scheuchte.
»Wenn sie’s nicht schafft, schafft’s keiner, aber sie schafft’s garantiert.« Optimismus war schon immer Saschas Stärke gewesen.
»Wer ist das überhaupt?« forschte Katja.
»Vicky? Sie ist Tänzerin und gehört zur Showtruppe.
Weil sie sehr beliebt ist und von der halben Crew umbalzt wird, kann sie hoffentlich den Sicherheitsmenschen weichkochen, damit er euch reinläßt.«
»Wovor hat der eigentlich Angst? Daß wir eine Bombe aufs Schiff schmuggeln?« Zum Beweis des Gegenteils stülpte Nicki die Taschen ihrer Bermudashorts nach außen.
»Das wohl weniger, aber nicht jeder Passagier schließt seine Kabine ab, und was da manchmal an Klunkern herumliegt, könnte auch einen moralisch sehr gefestigten Menschen in Versuchung führen.«
»Ach, und du bist noch nie erwischt worden?« fragte Katja interessiert.
Er warf ihr einen drohenden Blick zu. »Halt endlich die Klappe, sonst kannst du hier draußen bleiben.« Er drehte sich zu mir um. »Als die mich vorhin ausgerufen und gesagt haben, daß meine Familie auf dem Kai wartet, habe ich natürlich geglaubt, jemand will mich verarschen.
Deshalb habe ich mir eine Beschreibung durchgeben lassen. Doch als ich hörte, eine meiner angeblichen Schwestern sei klein, dick und habe eine große Nase, da wußte ich …«
Mit beiden Fäusten ging Katja auf ihn los. »Von wegen große Nase! Sieh dir doch deine eigene an! Gegen die hatte Cyrano de Bergerac ein geradezu klassisches Profil! Und dick??? Bei Konfektionsgröße sechsunddreißig? Glaubst du denn, ich will so ein Gerippe sein wie deine Hupfdohle?«
»Sagtest du Hupfdohle? Du, Vicky hat zehn Jahre Ballettunterricht gehabt. Die hat echt schon spitze getanzt, als du noch nicht mal Dreirad fahren konntest.«
»Ich habe mir schon gedacht, daß sie bald Rente kriegt.«
Himmel noch eins, wurden sie denn nie erwachsen???
Schon als Kinder waren sie bei jeder Gelegenheit aufeinander losgegangen, hatten sich auch später ständig in den Haaren gelegen, und nun, da sie sich als erwachsen bezeichneten, führten sie sich immer noch auf wie im Grundschulalter! »Ab wann wird man mit euch beiden zusammen in der Öffentlichkeit erscheinen können, ohne sich jedesmal zu blamieren?«
Eine Antwort bekam ich nicht mehr. Schon von weitem signalisierte Vicky, daß wir die Genehmigung zum Betreten des Schiffes erhalten hatten. »Na, dann kommt mal mit!« Sascha setzte sich in Marsch, und wir trotteten gehorsam hinter ihm her. »Bleibt immer zusammen, damit ihr euch nicht verliert. Und verlauft euch nicht. Ich habe zwei Wochen gebraucht, ehe ich mich auf dem Kahn halbwegs zurechtgefunden habe.«
»Wo seid ihr in vierzehn Tagen?« erkundigte sich Nicki.
»Weiß ich nicht genau, irgendwo in Südostasien.«
»In Ordnung, da wollte ich schon immer mal hin.«
Unter den skeptischen Blicken des Sicherheitsoffiziers betraten wir das Schiff. Erst marschierten wir einen Gang entlang, dann noch einen, dann stiegen wir eine Treppe hinauf, und dann wurde es vornehm. Honigfarbene Veloursböden, teppichbelegte breite Treppen mit auf Hochglanz polierten Messinggeländern,
Weitere Kostenlose Bücher