Werden sie denn nie erwachsen?
Empore für das Orchester, und drumherum gruppierten sich auf zwei Ebenen unzählige Rauchglastische, umgeben von dunkelroten Polstersesseln. In einem davon saß Vicky.
»Ich lasse euch jetzt hier, bis der ganze Lifeboatrummel vorbei ist. Vielleicht kann sie euch was zu trinken besorgen. Um diese Zeit ist das schwierig, weil die Bars noch geschlossen haben. Die meisten Passagiere sind ja on the road. Aber sie wird schon was deichseln. Seht zu, wie ihr klarkommt. Pidgin-Englisch versteht sie prima, immerhin besteht die halbe Crew aus Filipinos, und die kauderwelschen genauso herum wie ihr.« Mit dieser aufmunternden Feststellung ließ er uns allein.
Da saßen wir nun, lächelten uns verlegen an, malten Kringel auf den Glastisch und wußten nichts miteinander anzufangen. Ob wir etwas zu trinken haben möchten, fragte Vicky. O ja, sehr gern, am liebsten einen richtig starken Kaffee. Erst hinterher fiel mir ein, daß Engländer zwar hervorragenden Tee machen, vom Kaffeekochen aber keine Ahnung haben. Vicky verschwand hinter einer Seitentür, und Katja atmete hörbar auf. »Sehr gesprächig ist sie nicht gerade.«
»Du kannst ja auch mal was sagen«, ermunterte ich sie.
»Was denn? Soll ich sie vielleicht fragen, ob sie mit meinem Bruder was hat?«
»Natürlich hat sie was mit ihm«, behauptete Nicole sofort, »habt ihr nicht gesehen, wie sie ihn anhimmelt?«
Vicky kam zurück, stellte Tassen, Zucker und Milchkännchen auf den Tisch, fragte höflich, ob die Mädchen lieber etwas Kaltes hätten. »Cola or Lemonjuice?«
Sie entschieden sich für Zitronensaft. Dann faßte sich Katja ein Herz. Die ganze Zeit schon hatte sie neugierig die Galerie gemustert, die sich oberhalb des Ballsaals entlangzog. »What is there?«
»Oh, you mean the shops? Why don’t you go upstairs and have a look at there?«
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Sie sprang auf und lief die seitlich emporführende Treppe hinauf. Nicole hinterher. »Das darf doch nicht wahr sein!« hörte ich sie gleich darauf rufen. »Zweihundertachtundsechzig Dollar für dieses alberne Hemd mit nichts dran. Und guck mal da, die Krawatte, hundertzehn Dollar! Määm, komm mal rauf, das mußt du dir ansehen!«
Sehenswert war es wirklich. Nur das Feinste vom Feinen hatten die kleinen Geschäfte zu bieten, und in den Allerfeinsten waren die Preise so dezent angebracht, daß man sie beim besten Willen nicht entziffern konnte. Da gab es eine Minifiliale von Tiffany, eine von Hermès, Louis Vuitton war ebenso vertreten wie Yves Saint-Laurent und Dior – alles Namen, die ich schon oft gehört, deren Erzeugnisse ich bisher jedoch nur in Zeitschriften bewundert hatte. Oder auch nur belächelt. Abendkleider mit Löchern in der Bauchnabelgegend sind nicht unbedingt mein Geschmack.
Katja liebäugelte mit einer Armbanduhr in der Preisklasse von zwanzigtausend Mark, Nicole hatte es eine Tasche angetan, auch nicht viel billiger, und mir gefiel ein Seidentuch, das nur zweihundertsiebzig Dollar kostete, folglich als ausgesprochen preiswert zu bezeichnen war.
»Ein Glück, daß die Geschäfte erst nachmittags öffnen«, sagte Katja, »da werde ich wenigstens nicht in Versuchung geführt.«
Unten warteten schon Vicky und der Kaffee. Leider habe es so lange gedauert, doch es sei schwierig gewesen, um diese Zeit jemanden vom Personal zu finden, der Kaffee kochen könne. Er war ausgezeichnet. Später erfuhr ich von Sascha, daß fast alle Köche auf dem Schiff Deutsche, Schweizer oder Franzosen waren.
Wir lächelten, schwiegen uns weiterhin an und begrüßten jede Unterbrechung, die in Gestalt einer schwimmwestenbehängten Person den Saal durchquerte.
Ab und zu glitt an einem der Fenster ein Rettungsboot vorbei, wurde heruntergelassen, wieder hochgezogen, doch das ganze Manöver verlief völlig undramatisch. Kein Boot kippte um, keins blieb stecken, dann endlich ertönte eine Sirene, die dem ganzen Auftrieb ein Ende bereitete.
Kurz danach war Sascha wieder bei uns. »Na, habt ihr euch gut unterhalten?«
»Und wie!« antwortete Katja prompt. »Wir haben schon die Handelsbilanz der EG erörtert, den Verfall des Dollars analysiert und gerade angefangen, über die Wirtschaftskrise in Rußland zu debattieren.« Sie schüttelte den Kopf.
»Wie konntest du uns bloß mit diesem stummen Fisch hier zurücklassen?«
»Ich hab’s doch nur gut gemeint«, entschuldigte er sich, »allein hättet ihr euch auf dem Kahn hoffnungslos verlaufen.«
»Na schön, sehe ich ein, aber jetzt
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