Werden sie denn nie erwachsen?
ohne elterlichen Beistand heiraten müssen.« Ich beobachtete meinen Sohn, der den Hocker hin und her schob, Kissen holte, vorsichtshalber auch gleich die Kognakflasche mitbrachte und sich redliche Mühe gab, die mitleidheischende Miene seines Vaters zu übersehen. Endlich lag das Bein bequem.
»Also schön«, räumte Sascha ein, »Paps kann nicht mit, aber weshalb solltest
du
hierbleiben? Es ist doch nicht deine Schuld, wenn er nicht mal Bier holen kann, ohne sich dabei halb umzubringen.«
Ich hatte schon tief Luft geholt, um das, was ich zu sagen hatte, in einem Atemzug vorbringen zu können – und das würde eine ganze Menge sein! –, als Sascha abwinkte. »Ja, ich weiß, allein kann er natürlich nicht bleiben, doch da finden wir schon eine Lösung. Ich hole erst mal seine Karre vom Supermarkt zurück, die haben ihn ja gleich mit dem Notarztwagen abtransportiert, und unterwegs wird mir schon was einfallen.«
Merkwürdigerweise hatte sich der Patient, um dessen Wohlergehen es letztendlich ging, noch gar nicht geäußert.
Nach einem Blick auf die zusammengesunkene Gestalt im Sessel wußte ich auch, warum. Er schlief. Auch gut, viel schlafen soll ja die Genesung fördern.
Es dauerte lange, bis Sascha zurückkam, dafür hatte er das, was ihm unterwegs eingefallen war, gleich mitgebracht, nämlich Frau Keks.
Hier ist wahrscheinlich eine kurze Erklärung nötig: Frau Keks heißt eigentlich Lebküchner und ist jahrelang unsere Nachbarin gewesen. Ihren Namen verdankt sie Sascha, der Lebküchner gleich nach dem ersten Kennenlernen in eine ihm genehmere Form gekürzt hatte, und im Laufe der Zeit hatten auch wir ihn übernommen. Nach dem Tod ihres Mannes hatte Frau Keks ihr Haus verkauft und war in eine Eigentumswohnung gezogen. Finanziell unabhängig, betätigte sie sich ehrenamtlich bei allen möglichen sozialen Institutionen und hatte auch schon die erkrankte oder gelegentlich urlaubende Gemeindeschwester vertreten. Darüber hinaus ist sie dreifache Großmutter, also im Umgang mit nörgelnden Kleinkindern hinreichend trainiert.
»Selbstverständlich fahren Sie zur Hochzeit«, erklärte sie sofort, kaum daß sie mich begrüßt und kurz zu dem friedlich vor sich hin schnarchenden Invaliden hineingeschaut hatte. »Ich kümmere mich schon um Ihren Mann. Kann er denn laufen?«
»Der Arzt sagt, ja, mit Krücken, aber probiert hat er’s noch nicht.«
»Kein Problem. Wenn er nicht will, sage ich ihm einfach, bei seiner Weigerung handle es sich um Altersstarrsinn. Was glauben Sie, wie schnell er dann auf seinen Krücken steht.«
Bei einer Tasse Kaffee besprachen wir die Einzelheiten.
Frau Keks würde im Gästezimmer schlafen, um dem Patienten beim An- und Auskleiden helfen zu können, würde kochen, was sie schon immer leidenschaftlich gern getan hatte, Blümchen gießen, falls notwendig den Rasen bewässern und im Bedarfsfall mit Rolf Schach spielen.
»Ich bin ein miserabler Spieler, da gewinnt er sowieso jedesmal, und das wiederum hebt sein Selbstbewußtsein.«
Als sie sich nach einer Stunde verabschiedete, hatte sich Rolf noch immer nicht gerührt. »Er schläft wie ein Säugling.«
»Wer das behauptet, hat noch nie einen gehabt«, sagte sie trocken. »Wann wollen Sie übrigens weg?«
»In drei Tagen. Der Flieger geht um zwei.«
»Also müssen Sie spätestens um halb zwölf fahren«, überlegte sie laut. »In Ordnung, ich bin um elf Uhr hier.«
»Na, wie habe ich das gemacht?« frohlockte Sascha, nachdem er Frau Keks heimgebracht hatte. »Auf diese glorreiche Idee wärst du natürlich nie gekommen.«
»Ja, ich weiß, du bist klug, schön und gebildet, aber was ich am meisten an dir bewundere, ist deine grenzenlose Bescheidenheit.«
Wider Erwarten hatte Rolf nichts gegen meine Vertretung einzuwenden, er hielt es nur für überflüssig, daß sie im Haus übernachten sollte. »Ich bin ja nicht bettlägerig«, meckerte er, »und meine Jogginghosen werde ich mir wohl noch allein anziehen können. Es reicht wirklich, wenn sie erst gegen zehn kommt.« Er grinste hinterhältig. »Außerdem zeigt sich bei einer Frau ihr wahres Alter vor dem Frühstück.«
»Ja, und bei euch Männern nach dem Abendessen«, sagte ich wütend. »Krankenschwestern sehen nur in Fernsehfilmen wie Pin-up-Girls aus. Als ich im Krankenhaus lag, hatte meine einen Damenbart.«
»Das war ja auch auf der Frauenstation!«
Die Zwillinge nahmen den Unfall ihres Vaters mit Gleichmut auf. »Da hat bestimmt sein Unterbewußtsein mitgespielt«,
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