Werden sie denn nie erwachsen?
hinten verschoben worden. Ich ging Kaffee trinken, die Zwillinge wollten lieber auf die Aussichtsplattform. Sehr schnell waren sie wieder da. »Da oben zieht’s!« Kaffee wollten sie aber auch nicht. »Wir gehen Schaufenster gucken.«
Also guckten sie Schaufenster, und prompt trat das ein, was ich befürchtet hatte. Katja hatte eine »ganz entzückende weiße Umhängetasche« entdeckt, die »haargenau zum Kleid passen« würde, und weil sie doch sowieso nicht wisse, wo sie Taschentuch (hatte sie ohnedies nie dabei, sie verließ sich immer auf mütterliche Vorsorge), Lippenstift und Sonstiges unterbringen solle, sei der Erwerb dieser Tasche sozusagen zwingende Notwendigkeit. Ich sah das ein, gab ihr Geld, hatte es jedoch nicht passend, und so legte sie dieses Manko als vermeintliche Großzügigkeit aus und kaufte gleich noch ein kleines Portemonnaie.
»Wie sieht denn das aus, wenn ich aus einer weißen Tasche einen dunkelroten Geldbeutel ziehe?«
»Brauchst du ja gar nicht, du hast doch ohnehin nie welches drin«, bemerkte Nicole.
Katja nickte bekümmert. »Ich hab’s schon mit Selbsthypnose und mit Meditation versucht, aber was mir wirklich fehlt, ist mehr Taschengeld.«
Mit einer Stunde und siebzehn Minuten Verspätung hob der Vogel endlich ab, und mit einer Stunde und zweiunddreißig Minuten Verspätung landeten wir in Heathrow. »Ab jetzt müssen wir Englisch reden«, erinnerte ich die Mädchen, bekam jedoch nur ein mißmutiges Grunzen zur Antwort.
»Wie denn?« moserte Nicki schließlich. »Hätte ich geahnt, daß uns Sascha eine englische Schwägerin anschleppt, dann hätte ich nicht in der elften Klasse Englisch abgewählt. Statt dessen haben wir den Leistungskurs Französisch gemacht. Das hätte er eben berücksichtigen müssen.«
»Franzosen sind auch viel charmanter«, behauptete Katja eingedenk ihrer ersten Liebe Pascal, den sie als Austauschschülerin in Frankreich kennengelernt hatte.
»Na und? Deshalb heiratet Sascha bestimmt keine Französin.«
In Ermangelung verständlicher Hinweisschilder folgten wir der Phalanx unserer Mitreisenden; die würden schon wissen, wo der Ausgang war.
»Falls jetzt irgendwas schiefläuft … hast du wenigstens Vickys Telefonnummer dabei?«
Nein, hatte ich nicht, ich wußte nicht mal mehr, wie sie mit Nachnamen hieß. Ich schüttelte den Kopf.
»Aber die Adresse kennst du doch?« hakte Nicki nach.
»Irgendwas mit Gardens hintendran, den Rest habe ich vergessen«, gestand ich kleinlaut.
»Ist ja großartig! Und was machen wir, wenn wir unseren Abholer nicht finden?«
Wir fanden ihn, denn er war nicht zu übersehen. Gleich hinter der Paßkontrolle, wo der Menschensrrom durch Leitplanken kanalisiert wurde, wedelte ein Mann mit einem großen Pappdeckel herum. »Family Sanders« stand drauf. Er trug ein kariertes Holzfällerhemd, ausgebeulte Hosen und Schuhe, die vielleicht mal vor etlichen Jahren diese Bezeichnung verdient hatten. Im rechten Mundwinkel steckte ein ausgelutschter Zigarrenstummel.
»O Gott!« war alles, was Nicki herausbrachte, und Katja murmelte nicht weniger entsetzt: »Ist das nun Grant oder Leigh?«
Es war keiner von beiden, sondern ein Taxifahrer. Von seiner ausführlichen Erklärung verstand ich nur »order«
und »bed and breakfast«, beruhigte mich jedoch angesichts der Tatsache, daß er unseren Namen kannte und demnach auch wußte, was er mit uns anfangen sollte.
Gehorsam folgten wir ihm durch ein Gewirr von planenverhängten Gängen, stiegen auf provisorischen Treppen in die Unterwelt, kamen irgendwann wieder ans Tageslicht und standen endlich vor einem der typisch englischen Taxis. Erst später erfuhren wir, daß der Flughafen gerade ausgebaut wurde und die Hoffnung bestehe, daß die Arbeiten trotz der englischen Gewerkschaften noch in diesem Jahrhundert beendet sein würden.
Da ich das Mitteilungsbedürfnis von Taxifahrern hinreichend kenne, stieg ich sofort hinten in den Wagen.
Nicole schob sich neben mich, und so war Katja die Leidtragende. Anfangs bemühte sie sich noch, den im breitesten Hampshire-Dialekt vorgetragenen Erläuterungen unseres Chauffeurs zu folgen, dann gab sie es auf und warf lediglich ab und zu mal ein »Oh, really?«
ein, was soviel wie »Ach ja, wirklich?« bedeutete und unseren Cicerone von der ungeteilten Aufmerksamkeit seiner Zuhörerin überzeugte.
Anderthalb Stunden würde die Fahrt vom Flugplatz nach Southsea dauern, hatte Sascha mal erwähnt. Wir brauchten die doppelte Zeit. Straßenbaukolonnen
Weitere Kostenlose Bücher