Werden sie denn nie erwachsen?
Sandwich, und manche schafften es sogar, dabei auch noch eine zusammengefaltete Zeitung zu lesen.
»Lunchtime«, stellte Sascha nach einem kurzen Rundblick fest. »Wollt ihr wirklich hier rein?«
Und ob wir wollten! Hier war es wenigstens warm. Und Hunger hatten wir auch. Gleich neben dem Eingang befand sich eine kleine Nische mit zwei Tischchen und jeweils drei Stühlen. Ein Tisch war noch frei. »Wenn wir immer nur eine Pobacke benutzen, haben wir sogar alle Platz«, sagte Katja.
Schlecht gesessen ist besser als gut gestanden. Wir quetschten uns zusammen, und plötzlich erinnerte mich die ganze Atmosphäre an eine Düsseldorfer Altstadtkneipe, wo – o selige Jugendzeit! – so manche in der Redaktion begonnene Geburtstagsfeier ihre Fortsetzung gefunden hatte.
»Was kann man denn hier essen?« forschte Katja. »Bloß diese mit dem aufgeweichten Salatblatt garnierten Stullen?«
»Sieh doch selber nach«, empfahl Sascha, »hinter der Theke ist alles aufgebaut.«
Das wollte sie nun doch nicht. »Erstens wüßte ich nicht, wie das ganze Zeug heißt, und zweitens bin ich nicht im Nahkampf ausgebildet. Die stehen da vorne doch in Dreierreihen vor dem Tresen. Meinst du, da läßt mich jemand durch?«
Sie kannte die englische Mentalität noch nicht. Kaum hatte sie im Windschatten ihres Bruders die Menschentraube erreicht, als sich sofort eine schmale Gasse öffnete und den Durchgang zu dem kulinarischen Angebot freigab.
»Gereizt hat mich ja nichts davon, aber ich habe auf Saschas Empfehlung Shephard’s Pie für uns bestellt.« Sie schob sich wieder auf ihren halben Stuhl. »Es sieht zwar aus wie schon einmal gegessen, doch er sagt, es würde ganz gut schmecken.«
Shephard’s Pie besteht aus Kartoffelbrei mit Hackfleischsoße, schön zusammengerührt, in flache Auflaufformen gekippt und dann im Ofen überbacken.
Aus Gründen der Schnelligkeit kam das Zeug hier jedoch in die Mikrowelle, wodurch die angeblich so delikate braune Kruste fehlte, aber trotzdem schmeckte die Pampe erstaunlich gut. Und noch besser, wenn man beim Essen die Augen zumachte.
Gesättigt und gut geräuchert – die dichte Qualmwolke unter der niedrigen Decke hatte sogar mir Tränen in die Augen getrieben – waren wir zu weiteren Besichtigungen bereit, nur hatten wir etwas verschiedene Vorstellungen.
Was mich interessiert hätte, fand bei den Mädchen wenig Anklang, und mich reizten weder Harrod’s noch die Oxford Street. Einkaufsstraßen und Warenhäuser gab es auch zu Hause. Zumindest in einem Punkt waren wir uns einig: Wir wollten nach Soho.
Das berühmte Chinesenviertel erwies sich bei Tageslicht als ähnlich faszinierend wie die Reeperbahn morgens um zehn. Viel gesehen haben wir sowieso nicht, weil wir ständig mit gereckten Hälsen Ausschau nach unserem Ehepaar halten mußten, das zehn Meter vor uns im Eiltempo durch die Straßen raste. Die beiden kannten ja schon alles und verstanden nicht, weshalb wir ehrfurchtsvoll vor Scotland Yard stehenblieben (man hatte ja seinen Edgar Wallace gelesen) oder einen zweiten Blick auf die Westminster-Kathedrale werfen wollten.
»Können wir uns nicht mal trennen und in einer Stunde oder so wieder treffen?« maulte Nicole, nachdem ihr Bruder sie ungeduldig aus dem Postkartenshop gezerrt hatte. »Geht doch inzwischen turteln, und laßt uns ein bißchen Zeit zum Gucken.«
»Ich denke, ihr wollt in den Tower?«
»Na und? Je länger wir warten, desto älter wird er«, gab Katja zurück. »Große Lust habe ich eh nicht, durch dieses Gemäuer zu latschen und mir den Richtblock anzusehen, auf dem Maria Stuart einen Kopf kürzer gemacht worden ist. Die liegt mir immer noch im Magen.«
»Wieso?«
»Weil ich seinerzeit die Deutscharbeit total vergeigt habe. Im Heft stand so was Ähnliches wie: ›Bei Frage vier müssen dich alle guten Geister verlassen haben. Es gelingt mir beim besten Willen nicht, einen Zusammenhang zwischen deinen Ausführungen und denen Schillers zu entdecken.‹«
Die Besichtigung des Towers wurde also auf einen noch nicht näher bezeichneten Zeitpunkt irgendwann in diesem Jahrhundert verschoben, statt dessen bestiegen wir wieder die U-Bahn, um den wächsernen Damen und Herren in Madame Tussauds Etablissement einen Besuch abzustatten. Gleich am Eingang informierte uns eine Tafel, daß als neuer Gast Boris Becker hinzugekommen sei, zu besichtigen neben der Treppe. Wir besichtigten ihn, fanden ihn hübscher als das Original, und dann mußte ich die Zwillinge knipsen, wie sie
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