Werden sie denn nie erwachsen?
rechts und links neben ihm standen und Küßchen auf seine noch glänzende Wange hauchten. Als Gegenleistung erbat ich ein Foto mit Humphrey Bogart, der sich bereitwillig von mir unterhaken ließ. Er konnte sich ja nicht dagegen wehren, der Ärmste.
Bestimmt war ich nicht die erste Besucherin, die über ein Paar Füße stolperte und sich mit rotem Kopf bei der alten Dame entschuldigte, ehe sie bemerkte, daß die müde Lady auf dem abgenutzten Sofa ebenfalls aus Wachs war.
Auch diese Begegnung ist dank Katjas schußbereiter Kamera im Fotoalbum verewigt worden.
Sascha drängte zum Aufbruch. Wir müßten den Sechs-Uhr-Zwanzig-Zug erreichen, und jetzt in der Rushhour kämen wir ohnedies nur langsam vorwärts. Das stimmte.
Sämtliche Rolltreppen, die uns wieder unter die Straßen Londons baggerten, waren überfüllt, doch niemand drängelte, keiner schubste, alles ging sehr geordnet zu.
Mir fiel auf, daß auf jeder Treppenstufe immer nur eine Person stand, und das auch noch völlig unenglisch auf der rechten Seite. Die linke hatte für diejenigen frei zu bleiben, die überholen wollten und es auch zügig taten.
Auf den Bahnsteigen ging es ähnlich gesittet zu. Sobald ein Zug hielt, bildete sich vor jeder Tür eine Schlange, dann stieg man, einer hinter dem anderen, ein. Niemand hätte zu drängeln gewagt, wir natürlich auch nicht, und so kam es, daß die halbe Familie schon im Wagen war und die andere Hälfte noch draußen, als sich die automatischen Türen schlossen.
»Was nu?« Etwas verblüfft sahen Steffi und ich dem abfahrenden Zug hinterher. »Weißt du noch, an welcher Station wir aussteigen müssen?«
»Nee, keine Ahnung«, gab sie achselzuckend zurück.
»Ich weiß ja nicht mal, wo wir umsteigen müssen.«
»Das kriegen wir schon raus!« sagte ich zuversichtlich, obwohl mir gar nicht danach zumute war. »Jetzt steigen wir erst mal ein.«
Der nächste Zug war schon eingelaufen, und als wir die erste Station erreichten, sah ich meine Sippe, gleichmäßig über den Bahnsteig verteilt, angestrengt in jeden Wagen linsen. Vicky entdeckte uns zuerst und signalisierte den anderen, daß sie uns gefunden hatte.
»Die sind ja doch weitblickender, als ich gedacht hatte.«
Erleichtert ließ Steffi den Haltegriff los, woraufhin der mit Leder bezogene und an einer Art Spirale hängende Holzknauf ihrem Hintermann an die Stirn knallte. »Excuse me, please«, stotterte sie erschrocken. In diesem Moment blieb der Zug mit einem Ruck stehen, sie verlor das Gleichgewicht, und bevor ich sie halten konnte, saß sie schon einem würdig aussehenden Gentleman auf dem Schoß beziehungsweise auf seiner Times
.
Ihr Gesicht nahm eine tomatenrote Färbung an. »I … I … I am so sorry, but I …«
Sie sprang auf und hastete aus dem Zug. Ich hinterher.
Warum eigentlich? Die beiden attackierten Herren hatten nicht eine Miene verzogen, nur was sie sich gedacht haben, möchte ich lieber nicht wissen.
Vor unserer Rückfahrt nach Southsea kauften wir noch schnell diverse Ansichtskarten, die erst zu Hause in Deutschland wieder zum Vorschein kamen und zur Enttäuschung der Briefmarken sammelnden Empfänger mit heimischen Wertzeichen, aber wenigstens mit englischem Text abgeschickt wurden.
Dank Saschas Sklaventreibermethoden (»Nun beeilt euch doch mal ein bißchen! Könnt ihr nicht etwas schneller laufen? Müßt ihr vor jedem Schaufenster stehenbleiben?« und so weiter … ) hatte ich den Londonbesuch ohne nennenswerte finanzielle Einbußen überstanden. Lediglich für Sven hatte ich ein Mitbringsel gekauft, etwas absolut Schwachsinniges, doch es hatte mir so ausnehmend gut gefallen. Quer über die Vorderseite des weißen T-Shirts war in roter Schrift der Vorwurf zu lesen: My Mom went to London and all I got was this lousy shirt.
Für Leser, deren Englischkenntnisse ähnlich umfassend sind wie meine, hier die Übersetzung: Meine Mutter ist nach London gefahren, und alles, was sie mir mitgebracht hat, war dieses blöde Hemd.
»Bin ich froh, wenn wir wieder zu Hause sind und etwas Vernünftiges zu essen kriegen«, sagte Steffi, mit anklagender Miene an dem trockenen Toast mummelnd, »hoffentlich kann Janet wenigstens kochen.«
Wir waren nämlich alle zum Essen geladen. Abends.
Irgend etwas typisch Englisches sollte es geben, als Dessert Applepie – was immer das auch sein mochte –, angeblich eine Spezialität von Vickys Mutter und nicht mal in einem Nobelrestaurant in so hervorragender Qualität zu bekommen. Aus Zeit- und auch
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