Werden sie denn nie erwachsen?
fuhren. Wir kämen ja vom Lande, seien außerdem der Sprache nur unzureichend mächtig und folglich potentielle Irrläufer. Nie würden wir dorthin kommen, wohin wir wollten. Meinen Einwand, ich sei immerhin in Berlin aufgewachsen, ließ Sascha nicht gelten. Das sei vierzig Jahre her, und Berlin ließe sich mit London ohnehin nicht vergleichen.
So zuckelten wir denn am vierten Tag unseres England-Aufenthalts mit einem ganz gewöhnlichen Bimmelbähnchen nach London, hielten an jeder Station – es gab sehr viele! – mit teilweise recht merkwürdigen Namen, aber eine davon hieß Wimbledon. Genau weiß ich nicht, was ich eigentlich erwartet hatte, vielleicht Tennisnetze statt Bahnsteigsperren oder eine als Kacket getarnte Uhr, doch nichts deutete darauf hin, daß hier jedes Jahr zwei Wochen lang der Welt größter Tenniszirkus stattfindet. Englisches Understatement.
An welchem der zahlreichen Londoner Bahnhöfe wir ankamen, weiß ich nicht mehr. Wir stiegen sowieso gleich in die Unterwelt in irgendeine U-Bahn-Linie, kamen nach ein paar Stationen und einem halben Dutzend Rolltreppen wieder ans Tageslicht und standen vor Herrn Nelson.
Genauer gesagt, vor einer Säule, die oben mit einem Gerüst zugebaut war. Der Admiral wurde gerade von Taubendreck gereinigt.
»Am besten fangen wir mit einer Stadtrundfahrt an«, bestimmte Sascha, »da kriegt ihr alles Wichtige zu sehen, und das andere machen wir dann zu Fuß.«
Wir enterten eines der als Sightseeing-Bus ausgeschilderten zweistöckigen Fahrzeuge, und weil die Mädchen unbedingt fotografieren wollten, mußten wir nach oben. Oben gab es jedoch kein Dach über dem Kopf, was einerseits logisch ist, sonst hat man ja immer irgendwelche Streben vor dem Objektiv, andererseits kriegt man aber den Wind aus erster Hand und – ebenso logisch – den Regen. Noch schien die Sonne, doch sie verkroch sich immer wieder hinter Wolken. Sofort wurde es ekelhaft kalt.
Neben jedem Sitz hingen Kopfhörer, und wenn man an dem in der Armlehne verborgenen Rädchen drehte und im richtigen Augenblick den richtigen Knopf drückte, konnte man den Ausführungen des Fremdenführers sogar in seiner Muttersprache folgen. Da ich zuerst den japanischen Sender und dann den italienischen erwischt hatte, sind mir nähere Angaben über die Fleet Street entgangen. Daß man dort Zeitungen macht, hatte ich ohnehin schon gewußt.
Ich habe nicht gezählt, über wie viele Brücken wir gefahren sind, wahrscheinlich mehrmals über jede, denn den Tower haben wir von allen Seiten gesehen, an Big Ben sind wir zigmal vorbeigekommen, sogar das neue Fernheizwerk ist in das Programm der Stadtbesichtigung aufgenommen worden, obwohl es nun wirklich nicht sehenswert ist, aber jedesmal, wenn der Fahrer wieder die Richtung zum Fluß einschlug, fing das große Zähneklappern an. Ungebremst durch Häuser, fegte ein eiskalter Wind über die Themse, wir krochen immer tiefer in unsere Jacken, die wir sowieso schon bis zum Hals zugeknöpft hatten, und vermutlich lag es an den blaugefrorenen Händen, daß die spätere Fotoausbeute elfmal Tower, sechsmal Parlament und fünfmal Big Ben enthielt, jedoch keine einzige Themsebrücke.
Kurz vor dem Gefrierstadium kamen wir wieder bei Lord Nelson an. »Ich b-b-brauche jetzt w-w-was W-warmes zum Auf-t-tauen«, sagte Katja bibbernd und sprach uns allen aus der Seele. »Gibt’s hier irgend-w-wo T-t-tee?«
Inzwischen hatten wir herausgefunden, daß der Tee in England zwar unterschiedlich gut, jedoch immer trinkbar ist, was man vom Kaffee nicht so ohne weiteres behaupten kann. Zwangsläufig waren wir zu Teetrinkern geworden.
Sascha kannte eine Teestube »ganz in der Nähe«, die er schon früher mal frequentiert hatte, doch wo genau sie zu finden war, wußte er auch nicht mehr.
»Ich glaube, wir müssen dort lang.« Er zeigte vage in eine Straße mit Bäumen rechts und links, die sich in der Ferne verlor. Sie führte dann auch genau zu einem Seiteneingang vom Buckinghampalast.
»Glaubst du wirklich, daß uns Lieschen König zum Tee einlädt?« stichelte Stefanie. »Du und deine Ortskenntnis! Lieber kaufe ich mir einen Stadtplan, der redet wenigstens nicht so viel.«
Die Teestube fanden wir natürlich nicht, statt dessen landeten wir in einem Pub. Der war auch viel interessanter. In einem langen, schmalen Raum mit einer Theke am entgegengesetzten Ende standen beziehungsweise drängten sich fast ausschließlich Männer zusammen, tranken schweigend ihr Bier, kauten ebenso schweigend ihr
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