Werden sie denn nie erwachsen?
drin. Wenn es in Zukunft zweimal bei dir klingelt, dann aufhört und gleich danach noch zweimal, rufst du uns an, ja?«
Meistens klappte dieses Verfahren, aber manchmal nahm ich gleich nach dem ersten Läuten versehentlich den Hörer ab und mußte mir vorwurfsvoll sagen lassen, daß ich mal wieder völlig umsonst der Bundespost den Gegenwert von einem Brötchen in den Rachen geschmissen hätte. »Wir rechnen nämlich nicht in Gesprächseinheiten, sondern in Naturalien.«
Eine Zeitlang machte ich dieses Spiel mit, dann taten sie mir leid. Den Kontakt zu ihren Freunden sollten sie nicht verlieren, aber ich weiß nur zu gut, wie schnell man sich am Telefon festquasselt. Rolf hat bis heute keine Ahnung, daß die Dossenheimer Telefonrechnung von meinem Konto abgebucht wird. (Da er meine Bücher aus Prinzip nicht liest, wird er es wohl auch nie erfahren!) Um den monatlichen Unterhalt, den er seinen Töchtern zubilligte, hatte es ohnehin erbitterte Auseinandersetzungen gegeben. »Fünfhundert Mark pro Kopf sollten ja wohl reichen«, hatte er gesagt und nachgerechnet, wieviel ihn das am Ende der vierjährigen Studienzeit gekostet haben würde.
»Bärbel kriegt siebenhundert«, hatte Nicki protestiert.
»Die ist auch allein. Zu zweit lebt man billiger«, hatte das Gegenargument gelautet.
»Wann bist du zum letztenmal einkaufen gegangen?«
»Vorgestern.«
»Und wieviel hast du ausgegeben?«
»Sechs Mark neunzig. Für eine Taschenlampe.«
Wir einigten uns darauf, daß die Mädchen zwei Monate lang ein Haushaltsbuch führen und wir danach eine endgültige Entscheidung treffen würden. Damit war Rolf einverstanden. Seine Mutter habe so was auch gehabt und nur die besten Erfahrungen damit gemacht. Am Monatsende habe sie sogar immer noch Geld übrigbehalten.
»Weiß ich, sie hat mir ihre Buchführung mal gezeigt«, sagte ich. »Die höchsten Beträge waren immer unter der Rubrik ›Sonstiges‹ vermerkt.«
»Sonstiges gibt es nicht«, belehrte uns der Haushaltsvorstand, »für alles findet man einen Oberbegriff.«
»Aha. Worunter würdest du zum Beispiel eine Taschenlampe aufführen«, wollte Katja wissen.
»Ihr könnt meine alte haben«, erwiderte ihr Vater.
Fünf Tage lang war es jetzt immer recht still im Haus, ein Zustand, an den ich mich nur schwer gewöhnen konnte. Manchmal sehnte ich den Freitagabend regelrecht herbei. Im Gegensatz zu Rolf, der mittags auf die Uhr guckte und dann seufzend fragte: »Wen schleppen sie denn diesmal an? Kennen wir den wenigstens schon?«
»Sie bringen Ulli mit, haben sie gesagt, aber der war noch nie hier.«
Seitdem die Mädchen auch an dem außerplanmäßigen Hochschulleben teilnehmen konnten, hatten sie schnell Anschluß gefunden, und den brachten sie etappenweise mit nach Hause. Überwiegend handelte es sich um Studenten, deren Heimathafen zu weit entfernt war, um ihn übers Wochenende anzulaufen, und da sie alle immer hungrig und meistens pleite waren, nahmen sie die Einladung, von der ich oft erst in letzter Minute erfuhr, nur zu gern an.
»Es macht dir doch nichts aus, wenn ich Thorsten mitbringe, nicht wahr, Mami?« schmeichelte Nicki ins Telefon.
»Der arme Kerl hockt im Studentenwohnheim mit so einem gräßlichen Strebertyp zusammen, der das ganze Wochenende büffelt. Nicht mal das Radio darf er anstellen.«
Natürlich machte es mir nichts aus. »Was ißt er denn?«
»Alles.«
»So viel habe ich nicht im Haus.«
Bei dem avisierten Ulli handelte es sich ausnahmsweise mal um ein Mädchen, das Ulrike hieß und ein Allroundgenie war. Sie konnte Haare schneiden, was von den Zwillingen im Hinblick auf die ständig steigenden Friseurkosten sehr begrüßt wurde, konnte Maschine nähen, was sie schon bei Nickis Gardinen bewiesen hatte, konnte – zumindest nach Ansicht meiner Töchter, die ich aber als nicht unbedingt kompetent bezeichnen würde – hervorragend kochen und war außerdem zwei Semester weiter. Ihre Referate hatte sie alle aufgehoben und somit den Zwillingen manche Eigenleistung erspart.
»Fällt denn das nicht auf?« fragte ich besorgt.
»Wie denn bei dreihundert Studenten pro Seminar? Oder glauben Sie im Ernst, der Dozent liest den ganzen Kram? Der notiert doch bloß, ob auch jeder seine Arbeit abgegeben hat.«
Mein Weltbild vom strebsamen Studenten und den nicht minder bemühten Professoren geriet immer mehr ins Wanken. Zu viel hatten die Mädchen schon von dem Massenbetrieb erzählt, von überfüllten Hörsälen und praxisfernen Seminaren. »Zum
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