Werden sie denn nie erwachsen?
Schaufensterscheibe in den Elektroladen linste, wo hinten die neuesten Kühlschrankmodelle aufgereiht standen. Schön sahen sie ja aus, hatten kein Eisfach mehr, in dem man immer mit einem Brotmesser die festgefrorene Petersilienpackung losstemmen muß, hatten viel mehr Platz in den Türen – in meine kriegte ich nicht mal eine große Colaflasche –, waren pflegeleicht und hatten vor allem oben drauf keinen Brandfleck. Wer die heiße Bratpfanne dort mal abgestellt hatte, habe ich nie herausbekommen. Den Fleck auch nicht.
Überflüssig zu erwähnen, daß
mein
Kühlschrank jetzt keinen Brandfleck mehr hat, die Zwillinge haben ihn bei sich mit
meiner
alten Kaffeemaschine abgedeckt.
Den Umzug hatten die Mädchen auf einen Samstag gelegt, weil die angeheuerten Hilfskräfte nur dann Zeit hatten.
Noch am Vorabend hatte ich bezweifelt, daß die ausnahmslos zu den Wochenendlangschläfern gehörenden Knaben tatsächlich um acht Uhr auf der Matte stehen würden, aber sie standen! Bernd mit Papas Lieferwagen, Michael mit Bereitschaftsköfferchen, in dem vom Phasenprüfer bis zu verschiedenfarbigem Isolierband alles enthalten war, was ein Elektriker so braucht, Angela mit zwei Schüsseln schwäbischem Kartoffelsalat und Mark mit Radiorecorder. »Ohne Musik läuft nichts. Bis Micha die Anlage angeschlossen hat, ist nämlich Abend.«
»Der muß sich erst um den Herd kümmern«, brüllte Katja von oben. »Kann mal jemand raufkommen und mit anfassen?«
»Wir brauchen Bindfaden«, tönte es aus dem Keller, »oder besser Draht, sonst fällt hier alles auseinander.«
»Alles« waren die beiden Geschirrkisten, gefüllt mit Beständen, die ich erstens »sowieso mindestens dreifach«
hatte und zweitens gar nicht mehr brauchte, da ja nunmehr zwei Personen weniger am Tisch sitzen würden. Daß sie bei ihren Wochenendbesuchen nicht aus Plastikschüsseln würden essen wollen, mußten die Zwillinge bei ihren Raubzügen glatt übersehen haben.
Der Konvoi fuhr ab. Ich hatte gerade die Fußspuren von der letzten Treppenstufe gewischt, da klingelte das Telefon. »Schreib mal auf«, sagte Nicki, »992719.«
»Was ist das?«
»Unsere Telefonnummer. Gestern muß noch einer dagewesen sein und hat den Kasten angeschlossen. Die Möbel sind schon fast alle oben, und wenn du in einer halben Stunde abfährst, kommst du genau richtig.«
»Richtig wozu?«
»Zum erstenmal abwaschen. Die saufen hier wie die Weltmeister. Der eine Sprudelkasten ist schon fast leer.
Ach ja, noch was: Würdest du den Kettle mitbringen? Nur leihweise natürlich, aber dann könnten wir wenigstens mal was Warmes trinken. Der Herd funktioniert nämlich noch nicht, die Strippen sind zu kurz. Michael holt gerade neue.«
Da die meisten Teenager eine Abneigung gegen jede Art von Hülsenfrüchten haben, obwohl die doch kalorienarm und ballaststoffreich sind (oder weshalb sonst bestehen ihre Zwischenmahlzeiten neben Gummibärchen überwiegend aus Vollkornknäcke?), hatte ich schon gestern einen großen Topf Gulaschsuppe gekocht. Etwas Warmes braucht der Mensch! Bei unseren früheren Umzügen hatten wir die Möbelpacker immer mit kalten Rippchen abgefüttert, offenbar genauso Tradition wie die Batterie Bierflaschen, doch die Zwillinge hatten davon nichts wissen wollen. »Da bleiben so viele Knochen übrig, und wir haben noch keinen Mülleimer.«
Die Klingel war anscheinend kaputt, und mein Klopfen hörte niemand, weil drinnen gehämmert und gebohrt wurde. Schließlich donnerte ich mit dem Fuß gegen die Tür. Sie öffnete sich einen Spaltbreit. »Moment, ich muß erst den Herd zur Seite rücken«, sagte Michael, tat ein solches und ließ mich durchschlüpfen. »Geben Sie lieber mal den Topf her, den stelle ich gleich in die Badewanne, da ist er sicher.«
»O Gott, noch einer mehr!« kam es aus der Küche, wo ein bärtiger Zweimetermann mit eingezogenem Kopf Löcher in die frischgestrichenen Wände bohrte. Den kannte ich nicht. »Wer ist denn das?«
»Patrick«, stellte Katja vor. »Der wohnt unter uns und hat ’ne Schlagbohrmaschine. Die haben wir nämlich vergessen mitzunehmen. Und das ist meine Mutter.«
»Hat sie was zu essen mitgebracht?«
Wie ich später erfuhr, kam Patrick aus Norddeutschland und hatte auch nichts übrig für schwäbischen Kartoffelsalat. Dafür besaß er einen intakten Herd und jede Menge Müslischüsseln. Die Geschirrkisten standen nämlich noch zugebunden auf dem Klodeckel.
Es war gar nicht leicht, die gesättigten, müde vor sich hindösenden
Weitere Kostenlose Bücher