Werden sie denn nie erwachsen?
Kleinbildkameras.
Der Handhabung einer Nähmaschine unkundig und nicht gewillt, zehn Meter Tischtuch mit Nadel und Faden zu säumen, brachte ich das voluminöse Stück Stoff zu unserem Schneider, der auch immer meine Hosen kürzen muß (meine Körpergröße ist nämlich völlig aus der Mode!). Der betrachtete zweifelnd die Stoffbahn. »Ha no, was gibt denn des? An Theatervorhang?«
»Nein, eine Tischdecke.«
»Ja, wenn Se moine …«
Bei den Architekten der siebziger Jahre waren Wohnküchen verpönt gewesen und Eßzimmer als Relikt der Vorkriegszeit aus den Bauplänen verbannt worden.
Statt dessen erfand man Eßdielen, die immer direkt neben der Küche liegen, was für die Hausfrau natürlich vorteilhaft ist. Als weniger vorteilhaft erweist sich die Tatsache, daß von diesen Eßdielen nicht nur die Tür zur Küche abgeht, sondern häufig auch noch die Treppe nach oben beziehungsweise die andere hinunter zum Keller. Bei uns ist das jedenfalls so. Genaugenommen ist dieser Raum nichts anderes als ein quadratischer Flur, in dem gerade so viel Platz ist, daß man Tisch, Stühle und – wenn man Glück hat und etwas schmales Hohes findet – ein vitrinenartiges Möbel aufstellen kann.
Nachdem wir den Eßtisch bis zum allerletzten Zwischenstück verlängert hatten, konnte man elf Gedecke unterbringen, vorausgesetzt, jeweils zwei Personen würden sich einen Stuhl teilen. Mehr paßten nicht hin.
»Versuchen wir es mal halbschräg«, sagte Sascha. Das ging, nur hätten die am Fenster Sitzenden unterm Tisch durchkriechen müssen, um zu ihren Plätzen zu kommen.
»Und wenn wir die Tafel einfach im Wohnzimmer aufbauen?«
»Geht nicht, da ist der Weihnachtsbaum im Weg.« Katja hatte schon die zur Verfügung stehende Fläche ausgemessen. »Es sei denn, wir stellen die Sessel solange auf die Terrasse.«
Damit war nun wieder ich nicht einverstanden.
»Möglich, daß euch diese Kleinigkeit entgangen ist, aber draußen regnet es.«
»Also doch schräg«, bestimmte Sascha, »dann müssen eben die mit der leistungsfähigsten Blase an die Fensterseite. Aufstehen während des Essens geht nicht.«
Von weihnachtlichem Frieden oder gar Besinnlichkeit konnte bei uns keine Rede sein, es herrschte nur noch Hektik. Die Gans brutzelte zwar schon leise vor sich hin, aber jedesmal, wenn ich die Küche verlassen wollte, mußte ich mich an den übereinandergestapelten Stühlen vorbeidrücken oder aufpassen, daß ich nicht mit einem anderen Übereifrigen kollidierte. Am Couchtisch im Wohnzimmer schälte Nicki Kartoffeln, Steffi stand im Anorak draußen unterm Balkondach und schnippelte Rotkohl für den Salat, und Sven hockte auf der dritten Treppenstufe und versuchte das Geheimnis der schwimmenden Kerzen zu ergründen. Katja hatte sich zwecks Beaufsichtigung der zweiten Gans in das Haus ihres Bruders begeben. Vicky hatte nämlich keine Ahnung von Gänsen, kannte sie nur aus dem Fernsehen und hatte noch nie eine gegessen. In England gibt es zu Weihnachten Turkey. Von ihren Vegetariermenüs war sie in der Zwischenzeit abgekommen, bei dreimal wöchentlich Brokkoli mit Sahnesoße ja auch kein Wunder.
Ihr Zugeständnis an normale Kost beschränkte sich allerdings auf Fisch und weißes Fleisch. Jetzt gab es zum Brokkoli wenigstens noch ein Hühnerbein oder ein bißchen Putenbrust. Da eine Gans im Urzustand auch Federn hat, fiel sie also nicht unter das Tabu.
Suppe gab es nicht. Bis zum verlorengegangenen Zuckerdosendeckel waren die fehlenden Geschirrteile termingerecht angeliefert worden, nur die Suppenteller nicht. Ein bedauerliches Versehen, untröstlich, gar nicht zu verzeihen, doch die Hektik vor den Feiertagen … Ich entschuldigte alles und strich die Suppe.
Als die Kartoffeln schon zum zweitenmal übergekocht waren, dekorierte Sascha immer noch. Die Thomasse waren inzwischen gekommen, hatten artig ihre Blümchen abgeliefert und im Wohnzimmer Platz genommen. Rolf war zum Tanken gefahren und noch nicht zurück. Horst Herrmann hatte sich um den Wein kümmern wollen und saß immer noch im Keller. Mir egal, dann war er wenigstens nicht im Weg.
Das Telefon klingelte. Katja. »Ich glaube, die Gans muß aus dem Ofen, oder ist es normal, wenn sie oben schwarz wird?«
Sascha schrie nach Stecknadeln, mit denen er die Silberfolie am Tischtuch feststecken wollte, sie würde sich immer wieder zusammenrollen. Endlich lag sie flach.
»Wo ist das Besteck?«
»Auf dem Tablett unterm Weihnachtsbaum.«
Kurzes Klappern, dann die entsetzte Frage:
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