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Werden sie denn nie erwachsen?

Werden sie denn nie erwachsen?

Titel: Werden sie denn nie erwachsen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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»Määm, du willst doch wohl nicht im Ernst diese Gartengeräte auf den Tisch legen?«
    »Warum nicht, das ist klassisches Tafelsilber.«
    »Das sind Mordinstrumente! Damit ißt doch heutzutage kein Mensch mehr.«
    Wahrscheinlich hatte er recht. Dieses schwere, unhandliche Besteck hatte ich ebenfalls von meinen väterlichen Großeltern geerbt, aber die hatten auch noch ein richtiges Eßzimmer gehabt mit großem runden Tisch, gradlehnigen Stühlen, zwei Kredenzen und passenden Ölgemälden. Ich habe nie verstanden, weshalb der tote Fasan, in vollem Federkleid dekorativ auf einen Zinnteller gebettet, appetitanregend wirken sollte. Und das an der gegenüberliegenden Wand hängende Bild mit der durchgeschnittenen Melone und den Weintrauben drumherum fand ich auch nicht viel besser.
    Ach so, das Besteck. »Von dem anderen kriege ich nicht genug zusammen.«
    »Dann müssen wir das goldene nehmen«, bestimmte mein Sohn. »Schick mal jemanden rüber, der unsern Kasten holt.«
    Nun hört sich »das goldene Besteck« ziemlich hochtrabend an, und wer sich noch an die Klatschgeschichten über Curd Jürgens erinnert, weiß vielleicht, daß dessen goldenes Tafelgeschirr als Ausdruck höchster Dekadenz oft genug durch die Regenbogenpresse gegeistert ist. Mit unserem Gold hat es eine andere Bewandtnis. Von seiner Weltreise hatte mir Sascha einen Besteckkasten mitgebracht, angeblich recht preiswert in Bangkok gekauft, erfolgreich durch den Zoll geschmuggelt und bestückt mit einem kompletten Satz für sechs Personen. Die Griffe sind aus Rosenholz und die Metallteile aus einer Legierung, die tatsächlich ein bißchen wie Gold aussieht.
    Leider sind die meisten Asiaten uns Europäern an Körpergröße unterlegen, und dementsprechend fällt alles aus, was da unten hergestellt wird. Man merkt das ja auch an Textilien. Steht »Made in Hongkong« drauf, muß man sie zwei Nummern größer kaufen. Genauso ist es mit dem Besteck. Es sieht alles so niedlich aus. Die Gabeln sind kaum länger als unsere Kuchengabeln, und mit den Fischmessern kann man bestenfalls einer Sardine zu Leibe rücken. Als ich einmal bei einem Familiengeburtstag den »goldenen« Tortenheber rausgeholt hatte, konnten wir ihn nicht benutzen, weil die Auflagefläche viel zu klein war.
    Anscheinend ißt man in Thailand nur Petits fours.
    Mit Saschas Besteck, der seinen identischen Kasten auch in einem Schrank vergraben hat, bekamen wir elf Gedecke zusammen. So ganz paßten sie nicht zur Silberfolie, aber das störte jetzt nicht mal mehr Saschas ästhetisches Empfinden. Genau wie wir hatte er nur noch Hunger.
    Schnell band er noch die Hängeleuchte hoch, die sonst irgend jemandem vorm Gesicht gebaumelt hätte, dann betrachtete er befriedigt sein Werk. Wir ebenfalls.
    »Sieht sehr schön aus, aber wenn du nicht bald die Gänse tranchierst, sind sie kalt«, erinnerte ich ihn, band ihm eine Schürze um und schickte ihn in die Küche. Sven schoß ein paar Fotos, auf daß das festliche Stilleben auch der Nachwelt erhalten bliebe, aber die sind längst nicht so schön geworden wie die zehn Meter Videofilm, heimlich aufgenommen von Horst Herrmann, als die drei Mädchen unter dem Tisch zu ihren Plätzen krabbelten.
    Im übrigen hat der Gänsebraten auch nicht anders geschmeckt als all die Jahre davor, als wir noch kein Rosenthal-Studio-Line »Asymmetrica« besaßen.

12
    »Wir haben eine Überraschung für dich«, verkündete Nicki, als ich mal wieder mehrere Tage »auf Dichterlesung« war und zwecks Entgegennahme etwaiger Katastrophenmeldungen das spätabendliche Telefonat mit den Daheimgebliebenen führte. Die Mädchen hatten sich bereit erklärt, eine Woche lang die Uni zu schwänzen sowie auf Liebes- und Großstadtleben zu verzichten, um ihren Vater vor dem Hungertod zu bewahren. Zwar hatte sich auch Vicky als Köchin angeboten, doch Rolf mag keinen Brokkoli mit Sahnesoße.
    »Was für eine Überraschung?«
    »Sage ich nicht«, kam es kichernd aus dem Hörer, »sonst wäre es ja keine mehr.«
    Nun bin ich dank langjähriger Erfahrung jeglichen Überraschungen gegenüber mißtrauisch. Eine Überraschung kann zum Beispiel ein frisch angelegtes Beet im Garten sein, dem mein Haselnußstrauch zum Opfer fallen mußte, und das nur, weil Sven im Sonderangebot für 4,95 Mark fünfzig Dahlienzwiebeln erstanden hatte. Aufgegangen sind dann tatsächlich siebzehn Stück.
    Eine Überraschung war auch der neue Küchenboden, praktischerweise in blendendem Weiß, damit man auch jeden

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