Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
uns durch den Gang, der hinter dem Pförtchen war, in den Hof, und von dem Hofe unter die Einfahrt, welche durch das Tor geschlossen war, und in der Seitenmauer der Einfahrt zeigte sich eine Tür. Die Tür wurde geöffnet. Hinter ihr ging eine Treppe in die Tiefe hinunter. Als dort gelegen wurde die Wohnung des Pförtners angegeben.
    Da wir die Treppe hinunter gestiegen waren und die Wohnung betreten hatten, sahen wir, daß dieselbe nur aus einem einzigen Zimmer bestehe. Neben einer Leiter, die gegen das Fenster empor lehnte, lag der alte tote Mann. Er hatte ein gelbes Molldonröcklein und blaßblaue Beinkleider an. Als ihn die Männer aufgehoben und auf ein Bett, das das seinige schien, gelegt hatten, sah ich aus den Zügen, daß es wirklich der nämliche Mann sei, dem ich das Buch gegeben hatte. Man hatte anfangs die Absicht gehabt, Versuche zu machen, ihn ins Leben zurück zu rufen, aber beim Anfassen hatte man schon empfunden, daß er kalt sei, und bei näherer Beschauung zeigte sich auch, daß er unzweifelhaft tot sei.
    Wann mußte er denn gestorben sein?
    Sonst war niemand in dem Zimmer als das Mädchen mit dem großen Haupte. Es saß tief zurück auf einem weißen, unangestrichenen Stuhle, und sah von ferne zu, was man mit dem Manne beginne. Auf einem Schirme, der vor einem Bette stand, das ich für das des Mädchens hielt, saß die Dohle, denn eine solche, kein Rabe war es gewesen, was Alfred hatte fangen wollen. Der Vogel nickte mit dem Kopfe, und sprach schier Laute, die aber unverständlich verstümmelt und kaum menschenähnlich waren. Auf dem Tische, der nicht weit von dem Sitze des Mädchens stand, sah ich die Flöte liegen.
    Ich wollte, während die Männer die Leiche besahen und auf dem Bette in eine anständige Lage zu bringen suchten, das Mädchen ansprechen, wollte es zutraulich machen, und es dann mit mir nehmen, um es aus der traurigen Umgebung zu bringen. Ich näherte mich und sprach es an, wobei ich die höflichste, aber einfachste Sprache versuchte. Das Mädchen antwortete mir zu meinem Erstaunen in der reinsten Schriftsprache, aber was es sagte, war kaum zu verstehen. Die Gedanken waren so seltsam, so von allem, was sich immer und täglich in unserem Umgange ausspricht, verschieden, daß man das Ganze für blödsinnig hätte halten können, wenn es nicht zum Teile wieder sehr verständig gewesen wäre.
    Ich hatte zufällig in meinem Mantel einige Stücke Zuckerbäckerei und etwas Obst. Ich nahm ein Stückchen Backwerk heraus und bot es dem Mädchen an. Es langte darnach, aß es, und zeigte in den Zügen des großen Antlitzes einen augenfälligen Schein von Freude. Ich versuchte bei dieser Gelegenheit auch, ob ich aus den Zügen heraus lesen könnte, wie alt das Mädchen sein möge; aber es war mir wegen der ungewöhnlichen Bildung des Hauptes und des Angesichtes nicht möglich. Es konnte sechzehn Jahre alt sein, es konnte aber auch zwanzig Jahre alt sein.
    Ich gab ihm nun noch ein zweites Stück, dann ein drittes, und dann mehrere.
    Ich werde den Sinn dessen, was es sagte, ungefähr in unserer Sprache oder Sprechweise geben, weil man die Gedankenfolge des Mädchens nicht verstehen würde, und weil ich auch nicht im Stande wäre, die Dinge genau so aus dem Gedächtnisse zu wiederholen, wie es dieselben gesagt hatte.
    Ich fragte es, ob es solche Speisen gerne äße, wenn es dieselben hätte, ob sie gut seien.
    »Ja, gut,« sagte es, »gib mir noch mehr.«
    »Ich werde dir mehr geben,« antwortete ich, »wenn du mit mir gehst und in einer anderen Stube bleibst, bis es Nacht wird, und bis es wieder Tag wird. Dann werde ich dich wieder in diese deine Stube zurück führen. Ich habe hier keine solchen süßen Dinge mehr, aber in der Stube, in welche du mit mir gehen sollst, sind viele.«
    »Ich gehe mit dir,« sagte es, »aber wenn der Tag kömmt, gehen wir wieder zu uns her.«
    »Ja, da gehen wir wieder in diese Stube«, sagte ich.
    Ich gab dem Mädchen nun auch einen Apfel von einer besseren Gattung. Es aß ihn mit dem Zeichen, daß er ihm angenehm sei.
    Ich fragte das Mädchen auch, ob es keine Mutter habe, oder ob keine Geschwister am Leben seien.
    Es habe keine Mutter, antwortete es, und es sei immer nur bei dem Vater allein gewesen. Den Begriff Geschwister schien es gar nicht zu kennen.
    Ich fragte es hierauf, wie denn der Vater gestorben sei.
    »Er ist auf die Leiter gestiegen,« antwortete es, »die zu unserem Fenster hinauf führt. Ich weiß nicht, was er tun wollte, und da ist er herab

Weitere Kostenlose Bücher