Werke
Geburtstage empfangen hatte. Sie saß im schwarzen Seidenkleide auf dem nämlichen Stuhle wie damals, und hatte das Schlüsselbändchen ihrer Nichte mit der schwarzen Seite nach auswärts an dem Kleide.
Die Kammerfrau Agathe saß etwas unterhalb ihr, und trug ebenfalls ein schwarzes Seidenkleid.
Als Gerlint das Zimmer betreten hatte, erhob sich die Tante. Gerlint näherte sich ihr, neigte sich auf ihre Hand, und küßte sie.
»Komme an mein Herz, du liebes Kind,« sagte die Tante, »sei willkommen, und möge dein Eingang gesegnet sein.« Sie umarmte das Mädchen, und küßte es auf die Wange. »Ich danke dir, Adam,« sprach sie weiter, »daß du mir das Kind wohlerhalten gebracht hast. Eure Reise ist doch glücklich gewesen?«
»Wie eine Fahrt durch unsere Wiesen«, antwortete der Verwalter.
»Du hast ja ein schwarzes Seidenkleid an, wie ich, liebe Gerlint«, sagte die Tante.
»Ich wußte, daß du entweder Schwarz oder Grau trägst,« antwortete Gerlint, »und so wählte ich auf gutes Glück Schwarz.«
»Und siehe da, ich trage heute Schwarz,« sprach die Tante, »vor vierundzwanzig Jahren wäre ich eben so schmuck in einem solchen dagestanden, wie du heute. Du wirst die traurigen Farben Schwarz und Grau zur Genüge hier sehen. Aber wie zart auch dein Gedanke für deine Ankunft ist, so muß er ein Gedanke nur für die Ankunft bleiben, und du mußt künftig zur Blüte der Jahre die Blüte der Farben tragen, und mußt mir einige Heiterkeit in mein einfarbiges Schloß bringen. Der Schnitt des Kleides ist aber vortrefflich.«
»Wir lernen in der Anstalt das selber entwerfen«, sagte Gerlint.
»Das ist gut,« antwortete die Tante, »so seid ihr nicht von dem Ungeschicke anderer Leute abhängig. Und so sei noch einmal willkommen, und es sei dein Eingang gesegnet. Ich versage mir es nicht, dir selber deine Stube zu zeigen, und dich in sie einzuführen. Folge mir.«
Sie trat von ihrer Stufe herab, und ging zu einem Ebenholzgetäfel der Zimmerwand. Sie sperrte mit dem Schlüsselchen, das sie an ihrem Bande trug, das Getäfel auf, und man sah in das Innere eines Kästchens, in welchem ganze Reihen von Schlüsseln hingen. Sie nahm einen, schloß das Kästchen wieder zu, und gab den Schlüssel in die Hand Adams. Dann ging sie gegen die Tür. Die andern folgten ihr. Adam öffnete die Tür, und sie schritt hinaus. Sie ging den hohen Schloßgang entlang, und blieb vor einer der großen Eichentüren, die den Gang säumten, stehen. Adam sperrte die Tür auf. Die Tante wendete sich um, trat vor Gerlint, und machte ihr ein Kreuz auf die Stirne.
»Das ist deine Stube,« sagte sie, »tritt ein.«
Sie nahm Gerlint an der Hand, und führte sie in das Innere.
Man gelangte in ein geräumiges Vorzimmer. Links an demselben waren zwei Gemächer für die Dienerinnen Gerlints, rechts drei Zimmer für sie selber, ein Empfangsgemach, ein Wohngemach und ein Schlafgemach. Die Geräte waren nicht neu, sondern solche, wie sie die Bewohner des Schlosses zu verschiedenen Zeiten gehabt hatten; aber sie waren kostbar, und an ihnen haftete ein Stück Geschichte des Schlosses.
»Hier kannst du wohnen, wenn es dir gefällt,« sagte die Tante, »und hieher kannst du gehen, wenn du in dem gemeinschaftlichen Gesellschaftszimmer nicht sein willst, und irgend eine andere Stelle nicht vorziehst. Hier bist du unbeschrankte Herrin. Sonst ist auch jeder Raum des Schlosses, seiner Umgebung, seiner Gärten, seiner Fluren für dich offen. Du kommst nun in einen neuen Abschnitt deines Lebens. Du bist an den Umgang deiner Gespielinnen in der Anstalt gewöhnt. Sie werden sich wohl auch zu den Ihrigen zerstreuen, manche werden dich besuchen, und manche werden dir schreiben, bis auch diese Verhältnisse allmählig in andere übergehen. In diesem Schlosse verkehren nicht viele Menschen, wie in einem Stadthause. Es kommen Nachbarn, und wir besuchen sie, es kommen Menschen aus der Stadt, und wir kommen auch zuweilen in die Stadt. Deinen Hauptumgang werden folgende Menschen bilden: ich, dein Oheim Dietwin in Weiden, dein Vetter Dietwin in Weidenbach, dann die gute Agathe, dann Adam und unsere anderen Leute. Ich werde deine Freundin sein, ich darf wohl sagen, deine Mutter. Wenn dir mein Wort, mein Rat, und vielleicht auch mein Beispiel von Nutzen sein kann, wird es mich sehr freuen. Der Umgang mit dem Oheime wird angenehm und fördernd sein. Das Zusammenkommen mit dem Vetter wird die Verwandtschaftsbande stärken. Agathe wird dir freundlich sein, wie sie es mir ist.
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