Werke
geheimsten Schriften einhändigen.«
Der erste Augenblick war nun überstanden – wir gingen weiter den See entlang, und immer leichter und immer traulicher lösete sich das Band der Rede, bis alles war, wie einst, wenn ich mit ihr manche Stunde so recht in den dichterischsten Schwärmereien herumwandelte. Emil war mir keine fremde Störung, ihr ohnehin nicht, ja es war, als gehörte er eben so, wie er ist, dazu. Die Reden wurden immer wärmer und begeisterter, und die Herzen gaben sich immer reiner und unverhüllter. Drei glücklichere Menschen mochten an diesem Abende gewiß nicht in den Mauern der reizenden Uferstadt gewesen sein. Wir gingen erst in unser Gasthaus, als schon zwei Sternenhimmel leuchteten, einer über, einer unter dem See. Als Emil und ich in unserem Zimmer waren, trat ich an das Fenster, das auf den See sah, und bat Gott sonst um gar nichts, als: er möge mir die Gnade verleihen, diesem weiblichen Wesen ganz so vergelten zu können, wie sie es verdient. Ehe wir schlafen gingen, tat ich etwas, was seit Jahren das Albernste war, was ich erdenken konnte. Ich trat nämlich beklommen zu Emil und sagte, daß ich es für meine Pflicht halte, ihm zu eröffnen, daß meine Vermögensumstände geringe seien und ich seiner Ziehschwester daher nur ein sehr bescheidenes Los anbieten könne – und es drücke mich dieser Gedanke schon lange her – –
Er sah mich befremdet an, dann sagte er lächelnd: »Da hast du dir einen netten Zopf in dem alten Europa geflochten und hängst ihn dir heute abends vor mir ehrbar an – und stehst da, daß ich dich auslachen soll! Nicht wahr, wenn du in den See fällst und ertrinken willst, und ich ziehe dich mit äußerster Gefahr meines Lebens heraus, so dankest du mir, und es freut dich, und du erscheinst dir nicht gedemütigt – aber wenn ich sage: das Glück und der Fleiß meines Vaters hat mir so viel zugeführt, daß ich und andere ein schönes Vernunftleben führen können, wie es Gott nach unserer Lage fordern kann, und wenn ich sage, da liegt so viel übrig, daß wir es gar nicht verbrauchen können, bleibe da, gönne uns einen Anteil und Genuß an deinem Geistesleben, und verwende von dem, was sonst unnütz da läge, so viel du willst, zu immer weiterer Ausbildung dieses deines Geisteslebens – nimm Anteil an dem, was wir gesellig beginnen wollen, und an den Taten, wodurch wir das Reich des Guten zu erweitern streben wollen; wenn ich dieses alles sage, so sitzest du da und fühlst dich gedrückt warum? weil sie alle ihr Leben lieber für den andern wagen als ihr Geld; weil alles mitteilbar ist, nur kein Vermögen – außer in Almosen – und weil sie dieses mit Stolz und so geben, daß der Empfänger gedemütigt wird. Wenn ein Freund ein übermäßiges Vermögen mit dem andern dürftigeren Freunde teilt, so schreien sie, das sei eine ungeheure, schöne Tat – damit aber bekennen sie nur die ganze eingewurzelte Schlechtigkeit ihrer Selbstsucht. Haben dich die dreißig Dukaten deines Titus beleidigt? oder ihn und dich das, daß ihr euerErworbenes in Hälften aneinander mitteiltet? Es hat euch nicht beleidigt, weil ihr euch zurückerstattet – also, wenn ich dich aus dem See gezogen hätte, dann müßte ich aus Zartheit hineinfallen, daß du mich wieder heraus zögest? Wir sind Eine Familie; dadurch, daß dich Angela liebgewonnen hat, trittst du in diese Familie ein, und diese Familie hat so und so viel Güter, und so und so viel fällt auf euch beide gerade in der Art, wie wenn du etwa eine Million von einem wildfremden Oheim geerbt hättest oder fühlst du dich auch gegen den verblichenen Oheim untertänig? Nicht – weil Erben herkömmlich ist, anderes nicht. – – Daß Angela dir ihr Herz gab, das ist eine Gabe, das ist ein reines Geschenk, das du in Demut annehmen magst, und wo du auf Vergeltung sinnen kannst, wenn es anders möglich ist, etwas so Hohes zu vergelten.«
»Ich verachte selbst den Mann, der, wenn er ein reiches Weib heiratet, sofort jedes Geschäft fahren und sich von ihr ernähren läßt – – aber wird dein Streben in all unsrer schönen Zukunft nicht weit mehr wert sein als das, was dir hier zufällig entgegenkommt? Doch genug, es ließ dir naiv; aber ich habe es von dir nicht erwartet, daß du mit dieser Last angefahren kommen wirst. Wir wollen es den Mädchen verheimlichen: sie müßten dich auslachen.«
»So höre einmal auf!« rief ich aus, und in der Tat, Titus! es kam etwas Schamröte über mich, wie er die Dinge so gelassen
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