Werke
Löwe, und warf ihnen einen verächtlichen Blick zu.
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X. (4)
Der Löwe fuhr weiter fort: Der Rangstreit, wenn ich es recht überlege, ist ein nichtswürdiger Streit! Haltet mich für den Vornehmsten oder für den Geringsten; es gilt mir gleich viel. Genug ich kenne mich! – Und so ging er aus der Versammlung.
Ihm folgte der weise Elefant, der kühne Tiger, der ernsthafte Bär, der kluge Fuchs, das edle Pferd; kurz, alle, die ihren Wert fühlten, oder zu fühlen glaubten.
Die sich am letzten wegbegaben, und über die zerrissene Versammlung am meisten murreten, waren – der Affe und der Esel.
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XI. Der Bär und der Elefant
Aelianus de nat. animal. lib. II. cap. II
Die unverständigen Menschen! sagte der Bär zu dem Elefanten. Was fordern sie nicht alles von uns bessern Tieren! Ich muß nach der Musik tanzen; ich, der ernsthafte Bär! Und sie wissen es doch nur allzuwohl, daß sich solche Possen zu meinem ehrwürdigen Wesen nicht schicken; denn warum lachten sie sonst, wenn ich tanze?
Ich tanze auch nach der Musik: versetzte der gelehrige Elefant; und glaube eben so ernsthaft und ehrwürdig zu sein, als du. Gleichwohl haben die Zuschauer nie über mich gelacht; freudige Bewunderung bloß war auf ihren Gesichtern zu lesen. Glaube mir also, Bär; die Menschen lachen nicht darüber, daß du tanzest, sondern darüber, daß du dich so albern dazu anschickst.
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XII. Der Strauß
Das pfeilschnelle Renntier sahe den Strauß, und sprach: Das Laufen des Straußes ist so außerordentlich eben nicht; aber ohne Zweifel fliegt er desto besser.
Ein andermal sahe der Adler den Strauß und sprach: Fliegen kann der Strauß nun wohl nicht; aber ich glaube, er muß gut laufen können.
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Die Wohltaten,
in zwei Fabeln
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XIII. (1)
Hast du wohl einen größern Wohltäter unter den Tieren, als uns? fragte die Biene den Menschen. Ja wohl! erwiderte dieser. »Und wen?« Das Schaf! Denn seine Wolle ist mir notwendig, und dein Honig ist mir nur angenehm.
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XIV. (2)
Und willst du noch einen Grund wissen, warum ich das Schaf für meinen größern Wohltäter halte, als dich Biene? Das Schaf schenket mir seine Wolle ohne die geringste Schwierigkeit; aber wenn du mir deinen Honig schenkest, muß ich mich noch immer vor deinem Stachel fürchten.
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XV. Die Eiche
Der rasende Nordwind hatte seine Stärke in einer stürmischen Nacht an einer erhabenen Eiche bewiesen. Nun lag sie gestreckt, und eine Menge niedriger Sträuche lagen unter ihr zerschmettert. Ein Fuchs, der seine Grube nicht weit davon hatte, sahe sie des Morgens darauf. Was für ein Baum! rief er. Hätte ich doch nimmermehr gedacht, daß er so groß gewesen wäre.
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Die Geschichte des alten Wolfs,
in sieben Fabeln
Aelianus libr. IV. cap. 15
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XVI. (1)
Der böse Wolf war zu Jahren gekommen, und faßte den gleißenden Entschluß, mit den Schäfern auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte sich also auf, und kam zu dem Schäfer, dessen Horden seiner Höhle die nächsten waren.
Schäfer, sprach er, du nennest mich den blutgierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freilich muß ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger tut weh. Schütze mich nur vor dem Hunger; mache mich nur satt, und du sollst mit mir recht wohl zufrieden sein. Denn ich bin wirklich das zahmste, sanftmütigste Tier, wenn ich satt bin.
Wenn du satt bist? Das kann wohl sein: versetzte der Schäfer. Aber wenn bist du denn satt? Du und der Geiz werden es nie. Geh deinen Weg!
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XVII. (2)
Der abgewiesene Wolf kam zu einem zweiten Schäfer.
Du weißt Schäfer, war seine Anrede, daß ich dir, das Jahr durch, manches Schaf würgen könnte. Willst du mir überhaupt jedes Jahr sechs Schafe geben; so bin ich zufrieden. Du kannst alsdenn sicher schlafen, und die Hunde ohne Bedenken abschaffen.
Sechs Schafe? sprach der Schäfer. Das ist ja eine ganze Herde! –
Nun, weil du es bist, so will ich mich mit fünfen begnügen: sagte der Wolf.
»Du scherzest; fünf Schafe! Mehr als fünf Schafe opfre ich kaum im ganzen Jahre dem Pan.«
Auch nicht viere? fragte der Wolf weiter; und der Schäfer schüttelte spöttisch den Kopf.
»Drei? – Zwei? – –«
Nicht ein einziges; fiel endlich der Bescheid. Denn es wäre ja wohl töricht, wenn ich mich einem Feinde zinsbar machte, vor welchem ich mich durch meine Wachsamkeit sichern kann.
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XVIII. (3)
Aller guten Dinge sind drei; dachte der Wolf und kam zu einem dritten
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