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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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diese Göttin damals schon sechzig Jahr alt. Fünf Jahr darauf führte Heinrich Unton, ihr Abgesandter in Frankreich, die nämliche Sprache mit ihr. Kurz, Corneille ist hinlänglich berechtiget gewesen, ihr alle die verliebte Schwachheit beizulegen, durch die er das zärtliche Weib mit der stolzen Königin in einen so interessanten Streit bringet.
    Eben so wenig hat er den Charakter des Essex verstellet, oder verfälschet. Essex, sagt Voltaire, war der Held gar nicht, zu dem ihn Corneille macht: er hat nie etwas merkwürdiges getan. Aber, wenn er es nicht war, so glaubte er es doch zu sein. Die Vernichtung der spanischen Flotte, die Eroberung von Cadix, an der ihn Voltaire wenig oder gar kein Teil läßt, hielt er so sehr für sein Werk, daß er es durchaus nicht leiden wollte, wenn sich jemand die geringste Ehre davon anmaßte. Er erbot sich, es mit dem Degen in der Hand, gegen den Grafen von Notthingham, unter dem er kommandiert hatte, gegen seinen Sohn, gegen jeden von seinen Anverwandten, zu beweisen, daß sie ihm allein zugehöre.
    Corneille läßt den Grafen von seinen Feinden, namentlich vom Raleigh, vom Cecil, vom Cobhan, sehr verächtlich sprechen. Auch das will Voltaire nicht gut heißen. Es ist nicht erlaubt, sagt er, eine so neue Geschichte so gröblich zu verfälschen, und Männer von so vornehmer Geburt, von so großen Verdiensten, so unwürdig zu mißhandeln. Aber hier kömmt es ja gar nicht darauf an, was diese Männer waren, sondern wofür sie Essex hielt; und Essex war auf seine eigene Verdienste stolz genug, um ihnen ganz und gar keine einzuräumen.
    Wenn Corneille den Essex sagen läßt, daß es nur an seinem Willen gemangelt, den Thron selbst zu besteigen, so läßt er ihn freilich etwas sagen, was noch weit von der Wahrheit entfernt war. Aber Voltaire hätte darum doch nicht ausrufen müssen: »Wie? Essex auf dem Throne? mit was für Recht? unter was für Vorwande? wie wäre das möglich gewesen?« Denn Voltaire hätte sich erinnern sollen, daß Essex von mütterlicher Seite aus dem Königlichen Hause abstammte, und daß es wirklich Anhänger von ihm gegeben, die unbesonnen genug waren, ihn mit unter diejenigen zu zählen, die Ansprüche auf die Krone machen könnten. Als er daher mit dem Könige Jakob von Schottland in geheime Unterhandlung trat, ließ er es das erste sein, ihn zu versichern, daß er selbst dergleichen ehrgeizige Gedanken nie gehabt habe. Was er hier von sich ablehnte, ist nicht viel weniger, als was ihn Corneille voraussetzen läßt.
    Indem also Voltaire durch das ganze Stück nichts als historische Unrichtigkeiten findet, begeht er selbst nicht geringe. Über eine hat sich Walpole (13) schon lustig gemacht. Wenn nämlich Voltaire die erstern Lieblinge der Königin Elisabeth nennen will, so nennt er den Robert Dudley und den Grafen von Leicester. Er wußte nicht, daß beide nur eine Person waren, und daß man mit eben dem Rechte den Poeten Arouet und den Kammerherrn von Voltaire zu zwei verschiedenen Personen machen könnte. Eben so unverzeihlich ist das Hysteronproteron, in welches er mit der Ohrfeige verfällt, die die Königin dem Essex gab. Es ist falsch, daß er sie nach seiner unglücklichen Expedition in Irland bekam; er hatte sie lange vorher bekommen; und es ist so wenig wahr, daß er damals den Zorn der Königin durch die geringste Erniedrigung zu besänftigen gesucht, daß er vielmehr auf die lebhafteste und edelste Art mündlich und schriftlich seine Empfindlichkeit darüber ausließ. Er tat zu seiner Begnadigung auch nicht wieder den ersten Schritt; die Königin mußte ihn tun.
    Aber was geht mich hier die historische Unwissenheit des Herrn von Voltaire an? Eben so wenig als ihn die historische Unwissenheit des Corneille hätte angehen sollen. Und eigentlich will ich mich auch nur dieser gegen ihn annehmen.
    Die ganze Tragödie des Corneille sei ein Roman: wenn er rührend ist, wird er dadurch weniger rührend, weil der Dichter sich wahrer Namen bedienet hat?
    Weswegen wählt der tragische Dichter wahre Namen? Nimmt er seine Charaktere aus diesen Namen; oder nimmt er diese Namen, weil die Charaktere, welche ihnen die Geschichte beilegt, mit den Charakteren, die er in Handlung zu zeigen sich vorgenommen, mehr oder weniger Gleichheit haben? Ich rede nicht von der Art, wie die meisten Trauerspiele vielleicht entstanden sind, sondern wie sie eigentlich entstehen sollten. Oder, mich mit der gewöhnlichen Praxi der Dichter übereinstimmender auszudrücken: sind es die

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