Werke
heißt.«
»Auch aus dem Freunde des Grafen, dem Salisbury, kann man nicht klug werden, ob er ihn für schuldig oder für unschuldig hält. Er stellt der Königin vor, daß der Anschein öfters betriege, daß man alles von der Parteilichkeit und Ungerechtigkeit seiner Richter zu besorgen habe. Gleichwohl nimmt er seine Zuflucht zur Gnade der Königin. Was hatte er dieses nötig, wenn er seinen Freund nicht strafbar glaubte? Aber was soll der Zuschauer glauben? Der weiß eben so wenig, woran er mit der Verschwörung des Grafen, als woran er mit der Zärtlichkeit der Königin gegen ihn ist.«
»Salisbury sagt der Königin, daß man die Unterschrift des Grafen nachgemacht habe. Aber die Königin läßt sich im geringsten nicht einfallen, einen so wichtigen Umstand näher zu untersuchen. Gleichwohl war sie als Königin und als Geliebte dazu verbunden. Sie antwortet nicht einmal auf diese Eröffnung, die sie doch begierigst hätte ergreifen müssen. Sie erwidert bloß mit andern Worten, daß der Graf allzu stolz sei, und daß sie durchaus wolle, er solle um Gnade bitten.«
»Aber warum sollte er um Gnade bitten, wenn seine Unterschrift nachgemacht war?«
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Fünf und zwanzigstes Stück
Den 24sten Julius, 1767
»Essex selbst beteuert seine Unschuld; aber warum will er lieber sterben, als die Königin davon überzeugen? Seine Feinde haben ihn verleumdet; er kann sie mit einem einzigen Worte zu Boden schlagen; und er tut es nicht. Ist das dem Charakter eines so stolzen Mannes gemäß? Soll er aus Liebe zur Irton so widersinnig handeln: so hätte ihn der Dichter durch das ganze Stück von seiner Leidenschaft mehr bemeistert zeigen müssen. Die Heftigkeit des Affekts kann alles entschuldigen; aber in dieser Heftigkeit sehen wir ihn nicht.«
»Der Stolz der Königin streitet unaufhörlich mit dem Stolze des Essex; ein solcher Streit kann leicht gefallen. Aber wenn allein dieser Stolz sie handeln läßt, so ist er bei der Elisabeth sowohl, als bei dem Grafen, bloßer Eigensinn. Er soll mich um Gnade bitten; ich will sie nicht um Gnade bitten: das ist die ewige Leier. Der Zuschauer muß vergessen, daß Elisabeth entweder sehr abgeschmackt, oder sehr ungerecht ist, wenn sie verlangt, daß der Graf sich ein Verbrechen soll vergeben lassen, welches er nicht begangen, oder sie nicht untersucht hat. Er muß es vergessen, und er vergißt es wirklich, um sich bloß mit den Gesinnungen des Stolzes zu beschäftigen, der dem menschlichen Herze so schmeichelhaft ist.«
»Mit einem Worte: keine einzige Rolle dieses Trauerspiels ist, was sie sein sollte; alle sind verfehlt; und gleichwohl hat es gefallen. Woher dieses Gefallen? Offenbar aus der Situation der Personen, die für sich selbst rührend ist. – Ein großer Mann, den man auf das Schafott führet, wird immer interessieren; die Vorstellung seines Schicksals macht, auch ohne alle Hülfe der Poesie, Eindruck; ungefähr eben den Eindruck, den die Wirklichkeit selbst machen würde.«
So viel liegt für den tragischen Dichter an der Wahl des Stoffes. Durch diese allein, können die schwächsten verwirrtesten Stücke eine Art von Glück machen; und ich weiß nicht, wie es kömmt, daß es immer solche Stücke sind, in welchen sich gute Akteurs am vorteilhaftesten zeigen. Selten wird ein Meisterstück so meisterhaft vorgestellt, als es geschrieben ist; das Mittelmäßige fährt mit ihnen immer besser. Vielleicht, weil sie in dem Mittelmäßigen mehr von dem Ihrigen hinzutun können; vielleicht, weil uns das Mittelmäßige mehr Zeit und Ruhe läßt, auf ihr Spiel aufmerksam zu sein; vielleicht, weil in dem Mittelmäßigen alles nur auf einer oder zwei hervorstechenden Personen beruhet, anstatt, daß in einem vollkommenern Stücke öfters eine jede Person ein Hauptakteur sein müßte, und wenn sie es nicht ist, indem sie ihre Rolle verhunzt, zugleich auch die übrigen verderben hilft.
Beim Essex können alle diese und mehrere Ursachen zusammen kommen. Weder der Graf noch die Königin sind von dem Dichter mit der Stärke geschildert, daß sie durch die Aktion nicht noch weit stärker werden könnten. Essex spricht so stolz nicht, daß ihn der Schauspieler nicht in jeder Stellung, in jeder Gebärde, in jeder Miene, noch stolzer zeigen könnte. Es ist sogar dem Stolze wesentlich, daß er sich weniger durch Worte, als durch das übrige Betragen, äußert. Seine Worte sind öfters bescheiden, und es läßt sich nur sehen, nicht hören, daß es eine stolze Bescheidenheit ist. Diese
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