Werke
immer noch groß und unbiegsam genug war, um meinem von ihm abgezogenen Begriffe seinen Namen zu lassen.«
Kurz: die Tragödie ist keine dialogierte Geschichte; die Geschichte ist für die Tragödie nichts, als ein Repertorium von Namen, mit denen wir gewisse Charaktere zu verbinden gewohnt sind. Findet der Dichter in der Geschichte mehrere Umstände zur Ausschmückung und Individualisierung seines Stoffes bequem: wohl, so brauche er sie. Nur daß man ihm hieraus eben so wenig ein Verdienst, als aus dem Gegenteile ein Verbrechen mache!
Diesen Punkt von der historischen Wahrheit abgerechnet, bin ich sehr bereit, das übrige Urteil des Herrn von Voltaire zu unterschreiben. Essex ist ein mittelmäßiges Stück, sowohl in Ansehung der Intrigue, als des Stils. Den Grafen zu einem seufzenden Liebhaber einer Irton zu machen; ihn mehr aus Verzweiflung, daß er der ihrige nicht sein kann, als aus edelmütigem Stolze, sich nicht zu Entschuldigungen und Bitten herab zu lassen, auf das Schafott zu führen: das war der unglücklichste Einfall, den Thomas nur haben konnte, den er aber als ein Franzose wohl haben mußte. Der Stil ist in der Grundsprache schwach; in der Übersetzung ist er oft kriechend geworden. Aber überhaupt ist das Stück nicht ohne Interesse, und hat hier und da glückliche Verse; die aber im Französischen glücklicher sind, als im Deutschen. »Die Schauspieler, setzt der Herr von Voltaire hinzu, besonders die in der Provinz, spielen die Rolle des Essex gar zu gern, weil sie in einem gestickten Bande unter dem Knie, und mit einem großen blauen Bande über die Schulter darin erscheinen können. Der Graf ist ein Held von der ersten Klasse, den der Neid verfolgt: das macht Eindruck. Übrigens ist die Zahl der guten Tragödien bei allen Nationen in der Welt so klein, daß die, welche nicht ganz schlecht sind, noch immer Zuschauer an sich ziehen, wenn sie von guten Akteurs nur aufgestutzet werden.«
Er bestätiget dieses allgemeine Urteil durch verschiedene einzelne Anmerkungen, die eben so richtig, als scharfsinnig sind, und deren man sich vielleicht, bei einer wiederholten Vorstellung, mit Vergnügen erinnern dürfte. Ich teile die vorzüglichsten also hier mit; in der festen Überzeugung, daß die Kritik dem Genusse nicht schadet, und daß diejenigen, welche ein Stück am schärfesten zu beurteilen gelernt haben, immer diejenigen sind, welche das Theater am fleißigsten besuchen.
»Die Rolle des Cecils ist eine Nebenrolle, und eine sehr frostige Nebenrolle. Solche kriechende Schmeichler zu malen, muß man die Farben in seiner Gewalt haben, mit welchen Racine den Narcissus geschildert hat.«
»Die vorgebliche Herzogin von Irton ist eine vernünftige tugendhafte Frau, die sich durch ihre Liebe zu dem Grafen weder die Ungnade der Elisabeth zuziehen, noch ihren Liebhaber heiraten wollen. Dieser Charakter würde sehr schön sein, wenn er mehr Leben hätte, und wenn er zur Verwickelung etwas beitrüge; aber hier vertritt sie bloß die Stelle eines Freundes. Das ist für das Theater nicht hinlänglich.«
»Mich dünket, daß alles, was die Personen in dieser Tragödie sagen und tun, immer noch sehr schielend, verwirret und unbestimmet ist. Die Handlung muß deutlich, der Knoten verständlich, und jede Gesinnung plan und natürlich sein: das sind die ersten, wesentlichsten Regeln. Aber was will Essex? Was will Elisabeth? Worin besteht das Verbrechen des Grafen? Ist er schuldig, oder ist er fälschlich angeklagt? Wenn ihn die Königin für unschuldig hält, so muß sie sich seiner annehmen. Ist er aber schuldig: so ist es sehr unvernünftig, die Vertraute sagen zu lassen, daß er nimmermehr um Gnade bitten werde, daß er viel zu stolz dazu sei. Dieser Stolz schickt sich sehr wohl für einen tugendhaften unschuldigen Helden, aber für keinen Mann, der des Hochverrats überwiesen ist. Er soll sich unterwerfen: sagt die Königin. Ist das wohl die eigentliche Gesinnung, die sie haben muß, wenn sie ihn liebt? Wenn er sich nun unterworfen, wenn er nun ihre Verzeihung angenommen hat, wird Elisabeth darum von ihm mehr geliebt, als zuvor? Ich liebe ihn hundertmal mehr, als mich selbst: sagt die Königin. Ah, Madame; wenn es so weit mit Ihnen gekommen ist, wenn Ihre Leidenschaft so heftig geworden: so untersuchen Sie doch die Beschuldigungen Ihres Geliebten selbst, und verstatten nicht, daß ihn seine Feinde unter Ihrem Namen so verfolgen und unterdrücken, wie es durch das ganze Stück, obwohl ganz ohne Grund,
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