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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Rolle muß also notwendig in der Vorstellung gewinnen. Auch die Nebenrollen können keinen übeln Einfluß auf ihn haben: je subalterner Cecil und Salisbury gespielt werden, desto mehr ragt Essex hervor. Ich darf es also nicht erst lange sagen, wie vortrefflich ein Eckhof das machen muß, was auch der gleichgültigste Akteur nicht ganz verderben kann.
    Mit der Rolle der Elisabeth ist es nicht völlig so; aber doch kann sie auch schwerlich ganz verunglücken. Elisabeth ist so zärtlich, als stolz; ich glaube ganz gern, daß ein weibliches Herz beides zugleich sein kann; aber wie eine Aktrice beides gleich gut vorstellen könne, das begreife ich nicht recht. In der Natur selbst trauen wir einer stolzen Frau nicht viel Zärtlichkeit, und einer zärtlichen nicht viel Stolz zu. Wir trauen es ihr nicht zu, sage ich: denn die Kennzeichen des einen widersprechen den Kennzeichen des andern. Es ist ein Wunder, wenn ihr beide gleich geläufig sind; hat sie aber nur die einen vorzüglich in ihrer Gewalt, so kann sie die Leidenschaft, die sich durch die andern ausdrückt, zwar empfinden, aber schwerlich werden wir ihr glauben, daß sie dieselbe so lebhaft empfindet, als sie sagt. Wie kann eine Aktrice nun weiter gehen, als die Natur? Ist sie von einem majestätischen Wuchse, tönt ihre Stimme voller und männlicher, ist ihr Blick dreist, ist ihre Bewegung schnell und herzhaft: so werden ihr die stolzen Stellen vortrefflich gelingen; aber wie steht es mit den zärtlichen? Ist ihre Figur hingegen weniger imponierend; herrscht in ihren Mienen Sanftmut, in ihren Augen ein bescheidnes Feuer, in ihrer Stimme mehr Wohlklang, als Nachdruck; ist in ihrer Bewegung mehr Anstand und Würde, als Kraft und Geist: so wird sie den zärtlichen Stellen die völligste Genüge leisten; aber auch den stolzen? Sie wird sie nicht verderben, ganz gewiß nicht; sie wird sie noch genug absetzen; wir werden eine beleidigte zürnende Liebhaberin in ihr erblicken; nur keine Elisabeth nicht, die Manns genug war, ihren General und Geliebten mit einer Ohrfeige nach Hause zu schicken. Ich meine also, die Aktricen, welche die ganze doppelte Elisabeth uns gleich täuschend zu zeigen vermögend wären, dürfen noch seltner sein, als die Elisabeths selber; und wir können und müssen uns begnügen, wenn eine Hälfte nur recht gut gespielt, und die andere nicht ganz verwahrloset wird.
    Madame Löwen hat in der Rolle der Elisabeth sehr gefallen; aber, jene allgemeine Anmerkung nunmehr auf sie anzuwenden, uns mehr die zärtliche Frau, als die stolze Monarchin, sehen und hören lassen. Ihre Bildung, ihre Stimme, ihre bescheidene Aktion, ließen es nicht anders erwarten; und mich dünkt, unser Vergnügen hat dabei nichts verloren. Denn wenn notwendig eine die andere verfinstert, wenn es kaum anders sein kann, als daß nicht die Königin unter der Liebhaberin, oder diese unter jener leiden sollte: so, glaube ich, ist es zuträglicher, wenn eher etwas von dem Stolze und der Königin, als von der Liebhaberin und der Zärtlichkeit, verloren geht.
    Es ist nicht bloß eigensinniger Geschmack, wenn ich so urteile; noch weniger ist es meine Absicht, einem Frauenzimmer ein Kompliment damit zu machen, die noch immer eine Meisterin in ihrer Kunst sein würde, wenn ihr diese Rolle auch gar nicht gelungen wäre. Ich weiß einem Künstler, er sei von meinem oder dem andern Geschlechte, nur eine einzige Schmeichelei zu machen; und diese besteht darin, daß ich annehme, er sei von aller eiteln Empfindlichkeit entfernt, die Kunst gehe bei ihm über alles, er höre gern frei und laut über sich urteilen, und wolle sich lieber auch dann und wann falsch, als seltner beurteilet wissen. Wer diese Schmeichelei nicht versteht, bei dem erkenne ich mich gar bald irre, und er ist es nicht wert, daß wir ihn studieren. Der wahre Virtuose glaubt es nicht einmal, daß wir seine Vollkommenheit einsehen und empfinden, wenn wir auch noch so viel Geschrei davon machen, ehe er nicht merkt, daß wir auch Augen und Gefühl für seine Schwäche haben. Er spottet bei sich über jede uneingeschränkte Bewunderung, und nur das Lob desjenigen kitzelt ihn, von dem er weiß, daß er auch das Herz hat, ihn zu tadeln.
    Ich wollte sagen, daß sich Gründe anführen lassen, warum es besser ist, wenn die Aktrice mehr die zärtliche, als die stolze Elisabeth ausdrückt. Stolz muß sie sein, das ist ausgemacht: und daß sie es ist, das hören wir. Die Frage ist nur, ob sie zärtlicher als stolz, oder stolzer als

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