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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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nicht bleiben, wie sie waren? Aber freilich muß die Handlung sodann in etwas mehr, als in einer bloßen Kollision der Charaktere, bestehen. Diese kann allerdings nicht anders, als durch Nachgebung und Veränderung des einen Teiles dieser Charaktere, geendet werden; und ein Stück, das wenig oder nichts mehr hat als sie, nähert sich nicht sowohl seinem Ziele, sondern schläft vielmehr nach und nach ein. Wenn hingegen jene Kollision, die Handlung mag sich ihrem Ende nähern, so viel als sie will, dennoch gleich stark fortdauert: so begreift man leicht, daß das Ende eben so lebhaft und unterhaltend sein kann, als die Mitte nur immer war. Und das ist gerade der Unterschied, der sich zwischen dem letzten Akte des Terenz, und dem letzten unsers Verfassers befindet. Sobald wir in diesem hören, daß der strenge Vater hinter die Wahrheit gekommen: so können wir uns das Übrige alles an den Fingern abzählen; denn es ist der fünfte Akt. Er wird Anfangs poltern und toben; bald darauf wird er sich besänftigen lassen, wird sein Unrecht erkennen und so werden wollen, daß er nie wieder zu einer solchen Komödie den Stoff geben kann: desgleichen wird der ungeratene Sohn kommen, wird abbitten, wird sich zu bessern versprechen; kurz, alles wird ein Herz und eine Seele werden. Den hingegen will ich sehen, der in dem fünften Akte des Terenz die Wendungen des Dichters erraten kann! Die Intrigue ist längst zu Ende, aber das fortwährende Spiel der Charaktere läßt es uns kaum bemerken, daß sie zu Ende ist. Keiner verändert sich; sondern jeder schleift nur dem andern eben so viel ab, als nötig ist, ihn gegen den Nachteil des Exzesses zu verwahren. Der freigebige Micio wird durch das Manöuvre des geizigen Demea dahin gebracht, daß er selbst das Übermaß in seinem Bezeigen erkennet, und fragt:
    Quod proluvium? quae istaec subita est largitas?
    So wie umgekehrt der strenge Demea durch das Manöuvre des nachsichtsvollen Micio endlich erkennet, daß es nicht genug ist, nur immer zu tadeln und zu bestrafen, sondern es auch gut sei, obsecundare in loco. –
    Noch eine einzige Kleinigkeit will ich erinnern, in welcher unser Verfasser sich, gleichfalls zu seinem eigenem Nachteile, von seinem Muster entfernt hat.
    Terenz sagt es selbst, daß er in die Brüder des Menanders eine Episode aus einem Stücke des Diphilus übertragen, und so seine Brüder zusammen gesetzt habe. Diese Episode ist die gewaltsame Entführung der Psaltria durch den Aeschinus: und das Stück des Diphilus hieß, die mit einander Sterbenden.
    Synapothnescontes Diphili comoedia est –
    In Graeca adolescens est, qui lenoni eripit
    Meretricem in prima fabula – –
    – – eum hic locum sumpsit sibi
    In Adelphos – – –
    Nach diesen beiden Umständen zu urteilen, mochte Diphilus ein Paar Verliebte aufgeführet haben, die fest entschlossen waren, lieber mit einander zu sterben, als sich trennen zu lassen: und wer weiß was geschehen wäre, wenn sich gleichfalls nicht ein Freund ins Mittel geschlagen, und das Mädchen für den Liebhaber mit Gewalt entführt hätte? Den Entschluß, mit einander zu sterben, hat Terenz in den bloßen Entschluß des Liebhabers, dem Mädchen nachzufliehen und Vater und Vaterland um sie zu verlassen, gemildert. Donatus sagt dieses ausdrücklich: Menander mori illum voluisse fingit, Terentius fugere. Aber sollte es in dieser Note des Donatus nicht Diphilus anstatt Menander heißen? Ganz gewiß; wie Peter Nannius dieses schon angemerkt hat. (168) Denn der Dichter, wie wir gesehen, sagt es ja selbst, daß er diese ganze Episode von der Entführung nicht aus dem Menander, sondern aus dem Diphilus entlehnet habe; und das Stück des Diphilus hatte von dem Sterben sogar seinen Titel.
    Indes muß freilich, anstatt dieser von dem Diphilus entlehnten Entführung, in dem Stücke des Menanders eine andere Intrigue gewesen sein, an der Aeschinus gleicher Weise für den Ktesipho Anteil nahm, und wodurch er sich bei seiner Geliebten in eben den Verdacht brachte, der am Ende ihre Verbindung so glücklich beschleunigte. Worin diese eigentlich bestanden, dürfte schwer zu erraten sein. Sie mag aber bestanden haben, worin sie will: so wird sie doch gewiß eben so wohl gleich vor dem Stücke vorhergegangen sein, als die vom Terenz dafür gebrauchte Entführung. Denn auch sie muß es gewesen sein, wovon man noch überall sprach, als Demea in die Stadt kam; auch sie muß die Gelegenheit und der Stoff gewesen sein, worüber Demea gleich Anfangs mit seinem

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