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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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es zugleich so viel sonderbarer und unrechter, daß ich es in dem Tone tue, den man mir so hoch aufmutzt.
    Auf erstres glaube ich schon zum Teil damit geantwortet zu haben, daß ich mich erkläret, nicht als Advokat für ihn zu sprechen, der ihn seine Sache will gewinnen machen. Ich spreche bloß als ehrlicher Mann, der ihn nur so tumultuarisch nicht will verdammt wissen. Höchstens spreche ich so, als ein zugegebner Advokat für einen Verbrecher spricht; und rede nur statt seiner; und rede nur, wie man es im gemeinen Leben auszudrücken pflegt, in seine Seele. Hierzu aber bin ich um so mehr verpflichtet, da ich das Mehrere von seinen Papieren in Händen habe. Es wäre Verrat an der Unschuld, er mag nun viel oder wenig Anspruch auf Unschuld machen können, wenn ich in diesen mehrern Papieren das Geringste, das ihm auf irgend eine Weise zu Statten käme, fände, und nicht anzeigte. Der Verrat wäre von mir um so viel größer, da ich ungebeten sein Herausgeber geworden bin, und als literarische Proben, Stücke aus ihm mitgeteilet habe, die aus aller Verbindung gerissen sind, durch welche allein sie ihr wahres Leben erhalten. Warum hat man diese Proben durchaus nicht wollen sein lassen, was sie sein sollen? Warum hat man sie einer größern Aufmerksamkeit gewürdiget, als Fragmente von aller Art verdienen, auf die kein Mensch sich einzulassen verbunden ist? Warum hat man sogar Verbindungspartikeln, durch welche sich der Ungenannte auf etwas anderweits Erwiesenes beziehet, für bloßes Blendwerk ausgegeben, und dadurch so wohl meine als seine Redlichkeit in den lieblosesten Verdacht gezogen? – Doch davon an einem andern Orte.
    Hier lasse man mich nur noch hinzufügen, was ich mich nicht schämen darf zu wiederholen, da es einmal gestanden ist. Ich habe den Ungenannten auch darum in die Welt gestoßen, weil ich mit ihm allein nicht länger unter einem Dache wohnen wollte. Er lag mir unaufhörlich in den Ohren, und ich bekenne nochmals, daß ich seinen Zuraunungen nicht immer so viel entgegen zu setzen wußte, als ich gewünscht hätte. Uns, dachte ich, muß ein Dritter entweder näher zusammen, oder weiter aus einander bringen: und dieser Dritte kann niemand sein als das Publikum.
    Verliere ich nun aber nicht alle den Nutzen, den ich mir aus diesem Schritte versprach, wenn ich nicht auf jedes Wort, auf jede Miene aufmerksam bin, mit welcher man ihn im Publico empfängt? Ich muß jeden fragen, der über ihn stutzt, oder über ihn lacht, oder über ihn erschrickt, oder über ihn poltert: wie verstehen Sie das? wie beweisen Sie das? Auch werde ich mich mit der ersten der besten Antwort des ersten des besten Gegners schwerlich begnügen können. Denn wenn sie auch wirklich die beste wäre: so ist das Beste doch nicht immer gut; und ich kenne für tausend Zweifel die besten Antworten sehr wohl, ohne eine einzige gute darunter zu finden.
    Daß man mir aber nur nicht eine so schwer zu befriedigende Nachforschung als einen Beweis dessen vorwerfe, was ich so eifrig abzulehnen suche! Ich erzeige mich auch dadurch so wenig als den Advokaten des Ungenannten, daß ich mich vielmehr, (weil es doch einmal Advokat heißen soll) als den Advokaten der Religion damit erweise, die der Ungenannte angreift. Denn was hat er zu tun, der rechtschaffene Advokat, ehe er eine Sache übernimmt? Nachdem er seinen Klienten lange genug angehöret, sich ein Langes und Breites von ihm vorsagen lassen, in die Länge und in die Quere ihn ausgefragt (19) , in aliam rursus ei personam transeundum est, agendusque adversarius, proponendum, quidquid omnio excogitari contra potest, quicquid recipit in ejusmodi disceptatione natura. Gerade so, auch ich! Aber wer den Verteidigern der Religion sodann am schärfsten widersprechen wird, wird es darum mit der Religion nicht am schlimmsten meinen. Denn ich werde nur darum die Verteidiger der Religion interrogare quam infestissime, ac premere, weil auch hier, dum omnia quaerimus, aliquando ad verum, ubi minime expectavimus, pervenimus; weil auch hier optimus est in discendo patronus incredulus.
    Nun habe ich freilich dieser Pflicht gegen mich selbst zur Zeit noch wenig Genüge leisten können. Aber ich hoffe, in Zukunft es besser zu tun; und es mit aller der Kälte, mit alle dem Glimpfe gegen die Personen zu tun, die mit jener Strenge und Wärme für die Sache bestehen können, welche allein Quinctilian bei seinem infestissime kann gedacht haben.
    »Ei nun ja!« höre ich den Herrn Hauptpastor rufen – und bin bei

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