Werke
Hermine, sonst das rege Leben jeder Gesellschaft, war an dem Abend tief in sich gekehrt, und die Blässe seines Gesichts verriet, daß irgendein feindliches Ereignis ihn verstört haben mußte. Er hatte noch kein Wort gesprochen; jetzt, da die Duchesse ihre moralische Abhandlung geschlossen, begann er: »Verzeiht, gnädigste Frau! Barré liest vortrefflich, schreibt eine schöne Hand, kann sogar rechnen, spielt überdies nicht übel die Geige; und was seine Religion betrifft, so hat er Freitags in seinem Leben niemals auch nur eine Unze Fleisch genossen, regelmäßig seine Messe gehört und noch an dem Morgen, als er abends darauf den Mord beging, gebeichtet. Was könnt Ihr gegen seine Bildung, gegen seine Religiosität einwenden?«
Die Duchesse meinte, daß der Graf durch seine bittre Bemerkung ihr und der Gesellschaft den unausstehlichen Unmut entgelten lassen wolle, der ihm heute seine ganze Liebenswürdigkeit raube. Man setzte das vorige Gespräch fort, und ein junger Mann stand im Begriff, noch einmal alle Umstände der Tat Barrés auf das genaueste zu beschreiben, als der Graf von Saint Hermine sich ungeduldig von seinem Sitze erhob und auf das heftigste erklärte, man würde ihn augenblicklich verjagen, wenn man nicht ein Gespräch ende, das mit scharfen Krallen in seine Brust greife und eine Wunde aufreiße, deren Schmerz er wenigstens auf Augenblicke in der Gesellschaft zu verwinden gehofft.
Alle drangen in ihn, nun nicht länger mit der Ursache seines Unmuts zurückzuhalten. Da sprach er: »Man wird es nicht mehr Unmut nennen, was mich heute langweilig, unausstehlich erscheinen läßt; man wird es mir, meinem gerechten Schmerz verzeihen, daß ich das Gespräch über Barrés Untat nicht zu ertragen vermag, wenn ich offenbare, was mein ganzes Inneres tief erschüttert. Ein Mann, den ich hochschätzte, der sich in meinem Regiment stets brav, tapfer, mir innig ergeben bewies, der Marquis de la Pivardiere, ist vor drei Nächten auf die grausamste Weise in seinem Bette ermordet worden.«
»Himmel,« rief die Duchesse, »welch’ neue entsetzliche Untat! Wie konnte das geschehen! Die arme unglückliche Marquise!«
Auf dies Wort der Duchesse vergaß man den ermordeten Marquis, bedauerte nur die Marquise und erschöpfte sich in Lobeserhebungen der anmutigen geistreichen Frau, deren strenge Tugend, deren edler Sinn als Muster gegolten und die schon als Demoiselle du Chauvelin die Zierde der ersten Zirkel in Paris gewesen sei.
»Und,« sprach der Graf mit dem ins Innere dringenden Ton der tiefsten Erbitterung, »und diese geistreiche tugendhafte Frau, die Zierde der ersten Zirkel in Paris, diese war es, die ihren Gemahl erschlug mit Hilfe ihres Beichtvaters, des verruchten Charost!« –
Stumm, von Entsetzen erfaßt, starrte alles den Grafen an, der sich vor der Duchesse, die der Ohnmacht nahe, tief verbeugte und dann den Saal verließ. –
Franziska Margarete Chauvelin hatte in früher Kindheit ihre Mutter verloren, und so war ihre Erziehung ganz das Werk ihres Vaters geblieben, eines geistreichen, aber strengen, ernsten Mannes. Der Ritter Chauvelin glaubte daran, daß es möglich sei, das weibliche Gemüt zur Erkenntnis seiner eignen Schwächen zu bringen, und daß diese eben dadurch weggetilgt werden könnten. Sein starrer Sinn verschmähte jene hohe Liebenswürdigkeit der Weiber, die sich aus der subjektiven Ansicht des Lebens von dem Standpunkt aus, auf den sie die Natur gestellt hat, erzeugt; und eben in dieser Ansicht liegt ja der Ursprung aller der Äußerungen einer innern Gemütsstimmung, die in demselben Augenblick, da sie uns launisch, beschränkt, kleinartig bedünken will, uns unwiderstehlich hinreißt. Der Ritter meinte ferner, daß, um zu jenem Zweck zu gelangen, es vorzüglich nötig sei, jeden weiblichen Einfluß auf das junge Gemüt zu verhindern; auf das sorglichste entfernte er daher von seiner Tochter alles, was nur Gouvernante heißen mag, und wußte es auch geschickt anzufangen, daß keine Gespielin es dahin brachte, sich mit Franziska in gleiche Farbe zu kleiden und ihr die kleinen Geheimnisse eines durchtanzten Balls o.s. zu vertrauen. Nebenher sorgte er dafür, daß Franziskas notwendigste weibliche Bedienung aus geckenhaften Dingern bestand, die er dann als Scheubilder des verkehrten weiblichen Sinns aufstellte. Vorzüglich richtete er auch, als Franziska in die Jahre gekommen, daß davon die Rede sein konnte, die vernichtenden Pfeile seiner Ironie gegen die süße Schwärmerei der
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