Werke
begeben, beinahe vergessen. Die Dämmerung war schon eingebrochen, da hielt ein Wagen vor dem Hause, und bald darauf trat die Professorin in Eugenius’ Zimmer. Er erstaunte nicht wenig, sie in dem vollen Staat zu sehen, den sie nur an hohen Festtagen anzulegen pflegte. Das schwere faltenreiche Kleid von schwarzem Moor, reichlich mit schönen Brabanter Spitzen besetzt, das kleine altertümliche Häubchen, das reiche Perlenhalsband, ebensolche Armbänder, der ganze Schmuck gab der hohen vollen Gestalt der Professorin ein gar herrliches, ehrfurchtgebietendes Ansehen.
Eugenius sprang auf von seinem Sitz, aber mit der ungewöhnlichen Erscheinung trat, selbst wußte er nicht wie, auch alles Unheil des Tages in seiner Seele hervor, und unwillkürlich aus der tiefsten Brust rief er: »O mein Gott!«
»Ich weiß,« sprach die Professorin mit einem Ton, der in erkünstelter Ruhe nur zu sehr die tiefste Bewegung der Seele verriet, »ich weiß alles, was seit gestern vorgegangen, lieber Eugenius, ich kann, ich darf Sie nicht tadeln. – Mein Helms hat sich auch einmal meinethalben schlagen müssen, als ich seine Braut, ich hab’ es erst erfahren, als wir schon zehn Jahre verheiratet, und mein Helms war ein ruhiger gottesfürchtiger Jüngling, der gewiß niemandes Tod wollte. Aber es ist nicht anders, hab’ ich auch niemals begreifen können, warum es nicht anders sein kann. Doch die Frau vermag ja manches nicht zu fassen, was sich auf jener dunkeln Kehrseite des Lebens begibt, die ihr, will sie Weib sein und des Weibes Ehre und Würde behaupten, fern, dunkel bleiben muß, und mit frommer Ergebung mag sie daran glauben, was der Mann von der Gefahr jener Klippen, die er, ein kühner Pilot, umschifft hat, erzählt, und nicht weiter forschen! – Noch von anderm ist hier aber die Rede. – Ach, so sollte man, – ist die Sinnenlust der Jugend vorüber, sind die grellen Bilder des Lebens verbleicht, – denn das Leben selbst nicht mehr verstehen, sollte der Geist, ist er ganz zugewendet dem ewigen Licht, doch nicht das reine Blau des Himmels schauen können, ohne daß aus dem Pfuhl des Irdischen dunkle Wolken und Gewitter aufsteigen? – Ach! – als mein Helms sich um meinetwillen schlug, da war ich ein blühendes achtzehnjähriges Mädchen, man nannte mich schön – man beneidete ihn. – Und Sie – Sie schlagen sich für eine Matrone, für ein Verhältnis, das die leichtfertige Welt nicht zu fassen vermag, das nichtswürdige Gottlosigkeit mit frechem Spott begeifert. – Nein, das darf, das soll nicht sein! – Ich gebe Ihnen Ihr Wort zurück, lieber Eugenius! wir müssen uns trennen!« –
»Nimmermehr,« schrie Eugenius, indem er der Professorin zu Füßen stürzte und ihre Hände an seine Lippen drückte; »wie, meinen letzten Tropfen Blut sollt’ ich nicht verspritzen für meine Mutter?« – Und nun beschwor er die Professorin unter den heißesten Tränen, zu halten, was sie versprochen, nämlich, daß der Segen der Kirche ihn weihen solle zu ihrem Sohn! – »Doch ich Unglückseliger,« fuhr er dann plötzlich auf, »ist nicht alles zerstört, all mein Hoffen, mein ganzes Lebensglück? Marcell ist vielleicht schon tot – in der nächsten Minute schleppt man mich vielleicht ins Gefängnis.« –
»Sein Sie ruhig,« sprach die Professorin, indem ein anmutiges Lächeln die Verklärung des Himmels auf ihrem Antlitz verbreitete, »sein Sie ruhig, mein lieber frommer Sohn! Marcell ist außer aller Gefahr, der Stoß ist so glücklich gegangen, daß durchaus gar keine edle Teile verletzt sind. Mehrere Stunden habe ich bei unserm würdigen Rektor zugebracht. Er hat sich mit dem Senior Ihrer Landsmannschaft, mit den Sekundanten, mit mehreren Studenten, die bei dem ganzen Vorfall zugegen waren, besprochen. – ›Das ist keine gemeine alberne Rauferei‹, sprach der edle Greis, ›Eugenius konnte die tiefe Schmach nicht anders rügen und Marcell auch nicht anders handeln. Ich habe nichts erfahren und werde jeder Angeberei zu begegnen wissen.‹« –
Eugenius schrie laut auf vor Wonne und Entzücken, und hingerissen von dem Moment, in dem der Himmel selbst durch seine schönsten Freuden den frommen Sinn des begeisterten Jünglings zu verherrlichen schien, gab die Professorin seinem Flehen nach, daß ihre Hochzeit in ganz kurzer Zeit gefeiert werden solle.
Am späten Abend, als den Morgen darauf die Trauung in möglichster Stille gefeiert werden sollte, ließ sich auf der Straße vor dem Hause der Professorin ein dumpfes
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