Werke
pflegt, daß der Vorwurf, der nicht ganz trifft ins Innerste hinein, von der Brust des Schuldigen wirkungslos abprallt.
Als die Professorin ihre Strafpredigt endlich schloß mit einem kalten, beinahe verächtlichen: »Doch! gehen Sie, tun Sie, was Sie wollen!« da kam ihm der Gedanke, wie er in Mannesjahren ein Kind geblieben, mit erneuter Stärke zurück. – »Armseliger Schulknabe! wirst du nie der Zuchtrute entrinnen?« – So sprach eine Stimme in seinem Innern! – Er rannte von dannen.
Viertes Kapitel
Der Garten des Grafen Angelo Mora. Eugenius’ Entzücken und Gretchens Schmerz. Die gefährliche Bekanntschaft.
Ein von dem tiefsten Unmut, von den widersprechendsten Gefühlen bestürmtes Gemüt verschließt gern sich in sich selbst, und so geschah es denn auch, daß Eugenius, als er schon vor dem Kaffeehause sich befand, statt hineinzutreten, sich schnell entfernte, unwillkürlich hinauslaufend ins Freie.
Er gelangte vor das breite Gittertor eines Gartens, aus dem ihm balsamische Düfte entgegenströmten. Er schaute hinein und blieb im tiefsten Erstaunen festgewurzelt stehen.
Ein mächtiger Zauber schien die Bäume, die Gebüsche der entferntesten verschiedensten Zonen hieher versetzt zu haben, die im buntesten Gemisch der seltsamsten Farben und Gestaltungen üppig prangten, wie dem heimatlichen Boden entsprossen. Die breiten Gänge, die den magischen Wald durchschnitten, faßten fremde Gewächse, Stauden ein, die Eugenius nur dem Namen, der Abbildung nach gekannt, und selbst Blumen, die er wohl gezogen im eignen Treibhause, erblickte er hier in einer Fülle und Vollendung, wie er sie nie geahnet. Durch den Mittelgang konnte er hinschauen bis zu einem großen runden Platz, in dessen Mitte aus einem Marmorbecken ein Triton Kristallstrahlen hoch in die Höhe spritzte. Silberpfauen stolzierten daher, Goldfasane badeten sich in dem Feuer der Abendsonne. – Nicht gar zu fern vom Tor blühte eine Datura fastuosa (schöner Stechapfel) mit ihren herrlich duftenden großen trichterförmigen Blumen in solch glanzvoller Pracht, daß Eugenius mit Scham an die ärmliche Gestaltung dachte, die dasselbe Gewächs in seinem Garten zeigte. Es war das Lieblingsgewächs der Professorin, und allen Unmut vergessend, dachte Eugenius eben: »Ach! – könnte die gute Mutter solch eine Datura in den Garten bekommen!« – Da schwebten, wie von den Abendlüften getragen, süße Akkorde eines unbekannten Instruments aus den fernen Zaubergebüschen, und leuchtend stiegen die wunderbaren Himmelstöne einer weiblichen Stimme empor. – Es war eine jener Melodien, die nur die Liebesbegeisterung des Südens aus der tiefsten Brust hervorzurufen vermag, es war eine spanische Romanze, die die Verborgene sang.
Aller süße namenlose Schmerz der innigsten Wehmut, alle Glut inbrünstiger Sehnsucht erfaßte den Jüngling, er geriet in eine Trunkenheit der Sinne, die ihm ein unbekanntes fernes Zauberland voll Traum und Ahnung erschloß. Er war auf die Knie gesunken und hatte den Kopf fest angedrückt an die Stäbe des Gitters.
Tritte, die sich dem Gattertor nahten, scheuchten ihn auf, und er entfernte sich schnell, um in seinem aufgeregten Zustande nicht von Fremden überrascht zu werden. –
Unerachtet die Dämmerung schon eingebrochen, fand Eugenius doch noch Gretchen im Garten mit den Pflanzen beschäftigt.
Ohne aufzublicken, sprach sie mit leiser schüchterner Stimme: »Guten Abend, Herr Eugenius!« – »Was ist dir,« rief Eugenius, dem des Mädchens seltsame Beklommenheit auffiel, »was ist dir, Gretchen? – Schau’ mich doch an!«
Gretchen blickte zu ihm auf, aber in dem Augenblick quollen ihr auch die hellen Tränen aus den Augen.
»Was ist dir, liebes Gretchen?« wiederholte Eugenius, indem er des Mädchens Hand faßte. Aber da schien ein jäher Schmerz des Mädchens Innres zu durchzucken. Alle Glieder bebten, die Brust flog auf und nieder, ihr Weinen brach aus in heftiges Schluchzen.
Ein wunderbares Gefühl, wohl mehr als Mitleid, durchdrang den Jüngling.
»Um des Himmels willen,« sprach Eugenius in der schmerzlichsten Teilnahme, »um des Himmels willen, was hast du, was ist dir geschehen, mein liebes Gretchen? – Du bist krank, sehr krank! – Komm, setze dich, vertraue mir alles!«
Damit führte Eugenius das Mädchen auf eine Gartenbank, setzte sich zu ihr und wiederholte, indem er ihre Hand leise drückte: »Vertraue mir alles, mein liebes Gretchen!«
Dem Rosenschimmer des erwachten Morgens gleich brach ein holdes
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