Werke
Geheimnis mit der Dame, schien er alle Maßregeln seines Pflegesohns zu billigen.
Meister Wacht schwieg über die ganze Angelegenheit, und wenn einmal die arme Nanni ihren Schmerz nicht bergen konnte, sondern mit von Tränen halberstickter Stimme leise klagte: »Warum hat uns Jonathan verlassen?« so sprach Meister Wacht mit wegwerfendem Ton: »Ja, die Advokaten machen es nicht anders; wer weiß, was für eine Intrige, die ihm Geld und Nutzen schafft, Jonathan mit der Fremden angesponnen.«
Dann pflegte aber Herr Pickard Leberfink Jonathans Partei zu nehmen und zu versichern, daß er seinerseits überzeugt sei, wie die Fremde nichts Geringeres sein könne als eine Prinzessin, die sich in einer äußerst delikaten Rechtssache an den schon weltberühmten jungen Advokaten gewandt. Er kramte dabei so viel Geschichten von Advokaten aus, die durch besondere Sagazität, durch besondern Scharfblick und Geschicklichkeit die verworrensten Knoten entwickelt, die geheimsten Dinge ans Tageslicht gebracht, daß Meister Wacht ihn bat, um des Himmels willen stillzuschweigen, da ihm übel und weh werde, wogegen Nanni sich an allem, was Leberfink hervorbrachte, innig labte und neue Hoffnungen faßte.
Nannis Schmerz hatte eine merkliche Beimischung von Verdruß, und zwar in den Augenblicken, wenn es ihr ganz unmöglich schien, daß Jonathan ihr hätte untreu werden sollen. Hieraus war zu folgern, daß Jonathan sich nicht zu entschuldigen gesucht, sondern über sein Abenteuer hartnäckig geschwiegen.
Einige Monden waren vergangen, als der junge Advokat in der fröhlichsten Stimmung nach Bamberg zurückkehrte, und Meister Wacht mußte aus den leuchtenden Augen, womit Nanni ihn anblickte, wohl schließen, daß er sich ganz gerechtfertigt. Es dürfte dem geneigten Leser nicht unlieb sein, die ganze Begebenheit, die sich mit der fremden Dame und dem jungen Advokaten zugetragen, hier gleich einer episodischen Novelle eingeschaltet zu sehen.
Der ungarische Graf Z..., im Besitz von mehr als einer Million, heiratete aus reiner Zuneigung ein blutarmes Fräulein, die den Haß der Familie schon dadurch auf sich lud, daß sie, außerdem daß über ihre Familie ein völliges Dunkel herrschte, keine andern Schätze besaß, als alle Tugend, Schönheit und Anmut des Himmels.
Der Graf versprach, seiner Gemahlin mittelst Testaments sein ganzes Vermögen, auf den Fall seines Todes, zuzuwenden.
Einst, als ihn diplomatische Geschäfte von Paris nach Petersburg gerufen hatten und er nach Wien in die Arme seiner Gemahlin zurückkehrte, erzählte er dieser, daß er in einem Städtchen, dessen Namen er ganz vergessen, von einer schweren Krankheit befallen und die Augenblicke seiner Genesung sogleich dazu benutzt habe, um ein Testament zugunsten ihrer aufzusetzen und den Gerichten zu übergeben. Es müsse daher kommen, daß ihn einige Meilen weiter ein neuer Anfall der bösen Nervenkrankheit mit verdoppelter Gewalt gepackt habe, daß ihm Name des Orts, des Gerichts, wo und bei wem er testiert, gänzlich aus dem Gedächtnisse entschwunden, sowie, daß der von den Gerichten über die Niederlegung des Testaments erhaltene Empfangschein ihm verloren gegangen sei. Wie es wohl zu geschehen pflegt, von Tage zu Tage verschob der Graf die Errichtung eines neuen Testaments, bis ihn der Tod übereilte und die Verwandten nicht unterließen, den ganzen Nachlaß in Anspruch zu nehmen, so daß die arme Gräfin das überreiche Erbe bis auf die geringe Summe einiger kostbaren Geschenke des Grafen zusammenschmelzen sah, die ihr die Verwandten nicht entreißen konnten. Mancherlei Notizen über diesen Hergang der Sache waren in den Papieren des Grafen enthalten; da aber solche Notizen, daß ein Testament vorhanden sei, das Testament selbst nicht ersetzen können, so schufen sie der Gräfin nicht den mindesten Nutzen.
Viele Rechtsgelehrte hatte die Gräfin über ihren bösen Fall zu Rate gezogen, bis sie endlich nach Bamberg kam und sich an den alten Eichheimer wandte, der sie aber an den jungen Engelbrecht wies, welcher, weniger beschäftigt, ausgerüstet mit vorzüglichem Scharfsinn und großer Liebe zur Sache, vielleicht doch das unglückliche Testament erspüren oder einen andern künstlichen Beweis über die wirkliche Existenz desselben antreten würde.
Der junge Advokat begann damit, sich bei den kompetenten Behörden die nochmalige genaue Nachforschung in den Papieren des Grafen auf dem Schlosse auszubitten. Er ging selbst mit der Gräfin hin, und unter den Augen der
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