Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
entsetzlicher Krestjan Iwanowitsch!...«
»Krestjan Iwanowitsch, ich... ich... ich glaube, es fehlt mir nichts, Krestjan Iwanowitsch,« begann unser Held zaghaft und zitternd, in dem Wunsche, durch Unterwürfigkeit und Demut den furchtbaren Krestjan Iwanowitsch ein wenig milder zu stimmen.
»Sie bekommen vom Staate freie Wohnung, Heizung, Beleuchtung und Bedienung; das ist mehr, als Sie verdienen,« antwortete Krestjan Iwanowitsch; die Antwort klang streng und furchtbar wie ein Urteilsspruch.
Unser Held schrie auf und griff sich nach dem Kopfe. O weh! Das hatte er schon längst geahnt.
NETTCHEN NESWANO WA
Ein unvollendeter Roman
Ins Deutsche übertragen von H. Röhl
Nettchen Neswanowa ist Dostojewskis erster, jedoch unvollendeter Versuch, einen Roman zu schreiben. Der erste, vollständige Teil des Buches wurde 1849 veröffentlicht. Laut der Übersetzerin Jane Kentish war dieses Druckwerk gerade mal als Vorgeschichte zum eigentlichen Roman gedacht. Der Roman blieb unvollendet, da Dostojewski wegen angeblich revolutionären Umtrieben verhaftet und ins Exil nach Sibirien geschickt wurde. Dostojewski schrieb Nettchen Neswanowa nie zu Ende. Das Romanfragment erzählt die Geschichte einer Kindheit, welche von dem Stiefvater Jefimov überschattet wird. Dieser ist ein gescheiterter Musiker, der sich selbst für ein unerkanntes Genie hält. Das junge Mädchen fühlt sich auf seltsame Weise zu dem alten Säufer hingezogen. Dieser nutzt sie aus und treibt die Familie in den Ruin. Ihre empfindliche Psyche wird - auf sanftere Weise - weiter missbraucht, nachdem eine aristokratische Familie sie aufgenimmt. Nettchen ist dazu verurteilt, ein Außenseiter und einsamer Zuschauer einer rauschenden Gesellschaft zu bleiben. Nettchen Neswanowa enthält die großen Themen, die auch in Dostojewskis späteren Werken vorherrschend sind - Leid, Einsamkeit, Wahnsinn und Versündigung sowohl der armen als auch der reichen Leute der St Petersburger Gesellschaft.
Dostojewskis Arbeitszimmer in Sankt Petersburg
KAPITEL I
Meines Vaters erinnere ich mich nicht. Er starb, als ich zwei Jahre alt war. Meine Mutter verheiratete sich zum zweitenmal. Diese zweite Ehe brachte ihr viel Leid, obgleich sie aus Liebe geschlossen war. Mein Stiefvater war Musiker. Sein Schicksal war sehr merkwürdig: er war der seltsamste, wunderlichste Mensch, den ich jemals kennengelernt habe. Sein Wesen hat, als ich noch ein kleines Mädchen war, einen so starken Eindruck auf mich gemacht, daß dieser Eindruck für mein ganzes Leben nachwirkte. Damit meine Erzählung verständlich sei, will ich vor allen Dingen seinen Lebenslauf hier hersetzen. Alles, was ich jetzt erzählen werde, habe ich später von dem berühmten Geiger B... gehört, der in seiner Jugend ein Kamerad und intimer Freund meines Stiefvaters gewesen war.
Der Familienname meines Stiefvaters war Jefimow. Er war in dem Dorfe eines sehr reichen Gutsbesitzers geboren, als Sohn eines armen Musikers, der nach langen Irrfahrten sich auf dem Gute dieses Gutsbesitzers niedergelassen hatte und von diesem für sein Orchester engagiert worden war. Der Gutsbesitzer lebte sehr üppig und liebte vor allem leidenschaftlich die Musik. Man erzählte von ihm, obgleich er sonst nie sein Dorf verlassen habe, nicht einmal, um nach Moskau zu fahren, habe er sich einmal plötzlich entschlossen, ins Ausland nach einem Badeorte zu reisen, und zwar nur auf wenige Wochen, einzig und allein, um einen berühmten Geiger zu hören, der, wie die Zeitungen gemeldet hatten, in jenem Badeorte drei Konzerte zu geben beabsichtigte. Er hielt sich ein tüchtiges Orchester, auf das er fast seine ganzen Einnahmen verwendete. In dieses Orchester trat mein Stiefvater als Klarinettist ein. Er war zweiundzwanzig Jahre alt, als er mit einem seltsamen Menschen bekannt wurde. In demselben Kreise wohnte ein reicher Graf, der sich durch die Unterhaltung eines Haustheaters ruinierte. Dieser Graf hatte den Kapellmeister seines Orchesters, einen Italiener, wegen schlechter Aufführung entlassen. Der Kapellmeister war wirklich ein schlechter Mensch. Nachdem er weggejagt worden war, kam er vollständig herunter, trieb sich in den Dorfschenken umher, betrank sich, bettelte manchmal und fand im ganzen Gouvernement niemanden mehr, der Lust gehabt hätte, ihm eine Stelle zu geben. Mit diesem Menschen befreundete sich mein Stiefvater. Dieser Freundschaftsbund war unerklärlich und insofern seltsam, als niemand bemerkte, daß mein Stiefvater
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