Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
Vom Netzwerk:
gehört; ebenso wie damals, in jener Nacht, durchbohrte er mir jetzt das Herz. „Der Vater! Der Vater!“ schoß es mir wie ein Blitz durch den Kopf; „er ist hier; das ist er; er ruft mich; das ist seine Geige!“ Eine Art von Stöhnen entrang sich dieser ganzen Menschenmenge, und ein gewaltiges Händeklatschen erschütterte den Saal. Ein verzweifeltes, lautes Weinen drang aus meiner Brust hervor. Ich konnte mich nicht länger halten, schlug den Vorhang zurück und stürzte in den Saal.
    „Papa, Papa! Das bist du! Wo bist du?“ rief ich, beinah von Sinnen.
    Ich weiß nicht, wie ich zu dem hochgewachsenen alten Manne hinlief: die Menge gab mir den Weg frei und trat vor mir auseinander. Ich stürzte mit einem qualvollen Aufschrei zu ihm; ich glaubte, meinen Vater zu umarmen ... Auf einmal sah ich, daß lange, knochige Arme mich erfaßten und in die Luft hoben. Ein Paar schwarze Augen waren auf mich gerichtet und schienen mich mit ihrem Feuer verbrennen zu wollen. Ich sah den alten Mann an: „Nein! Das ist nicht mein Vater; das ist sein Mörder!“ fuhr es mir durch den Sinn. Eine Art von Raserei überkam mich, und plötzlich schien es mir, daß über meinem Kopfe ein Lachen erscholl und als Widerhall zu diesem Lachen im Saale ein allgemeines Geschrei ertönte. Ich verlor das Bewußtsein.

KAPITEL V
     
     
    Dies war die zweite und letzte Periode meiner Krankheit.
    Als ich wieder die Augen öffnete, erblickte ich über mich gebeugt das Gesicht eines Kindes, eines Mädchens in gleichem Alter mit mir, und meine erste Bewegung war, die Arme nach ihr auszustrecken. Beim ersten Blicke auf sie erfüllte ein Gefühl der Glückseligkeit, eine süße Vorahnung meine ganze Seele. Man stelle sich ein entzückendes Gesichtchen vor, ein Gesichtchen von überraschender, leuchtender, idealer Schönheit, eines von jenen, vor denen man auf einmal, wie von süßer Verwirrung durchdrungen, in einem Wonneschauer stehen bleibt, und dem man dankbar ist, daß es auf der Welt ist, und dafür, daß es einem vor die Augen gekommen ist, und dafür, daß es neben einem hergegangen ist. Dies war die Tochter des Fürsten, Katja, die soeben aus Moskau zurückgekehrt war. Sie lächelte über die Bewegung, die ich machte, und meine schwachen Nerven schmerzten mich leise vor süßem Entzücken.
    Die kleine Prinzessin rief ihren Vater, der wenige Schritte davon stand und mit dem Arzte redete.
    „Nun, Gott sei Dank! Gott sei Dank!“ sagte der Fürst, indem er meine Hand ergriff, und sein Gesicht strahlte in aufrichtiger Freude. „Ich freue mich, ich freue mich, ich freue mich sehr“, fuhr er in seiner gewöhnlichen eiligen Redeweise fort. „Also, Katja, mein liebes Kind, nun macht euch miteinander bekannt! Siehst du, da hast du eine Freundin. Werde nur recht bald gesund, Netotschka! Du böses Kind, was hast du mir für einen Schreck eingejagt!“
    Meine Genesung ging sehr schnell vor sich. Nach einigen Tagen konnte ich schon gehen. Jeden Morgen kam Katja an mein Bett, stets mit einem Lächeln und Lachen, das nie von ihren Lippen wich. Auf ihr Erscheinen wartete ich wie auf ein Glück; ich hätte sie so gern geküßt! Aber das ausgelassene Kind kam immer nur auf ein paar Minuten; es konnte nicht stillsitzen. Beständig in Bewegung zu sein, zu laufen, zu springen, zu lärmen und zu schreien, daß man es durch das ganze Haus hörte, das war für Katja ein unbedingtes Lebensbedürfnis. Und daher erklärte sie selbst mir gleich beim ersten Male, es sei ihr furchtbar langweilig, so neben mir zu sitzen, und darum werde sie nur sehr selten kommen, und auch das nur deswegen, weil ich ihr so leid täte; da sei ja nun nichts zu machen, da müsse sie schon kommen. Aber wenn ich erst würde gesund geworden sein, dann würden wir viel netter miteinander verkehren. Und jeden Morgen war ihr erstes Wort: „Nun? Bist du gesund geworden?“
    Und da ich immer noch recht mager und blaß war und nur ein ängstliches Lächeln auf meinem traurigen Gesichte zum Vorschein kam, so zog die Prinzessin sogleich die Augenbrauen zusammen, schüttelte den Kopf und stampfte ärgerlich mit dem Füßchen.
    „Aber ich habe dir doch gestern gesagt, du solltest wohler werden! Wie ist’s, du bekommst gewiß nicht ordentlich zu essen?“
    „Ich bekomme nur wenig“, antwortete ich schüchtern, weil ich ihr gegenüber gleich ängstlich wurde. Ich wünschte von ganzem Herzen, ihr soviel wie nur möglich zu gefallen, und paßte darum auf jedes meiner Worte, auf jede meiner Bewegungen

Weitere Kostenlose Bücher