Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
auf. Ihr Erscheinen versetzte mich in immer größeres Entzücken. Ich verwandte kein Auge von ihr, und wenn sie weggegangen war, blickte ich immer noch wie verzaubert nach der Stelle hin, wo sie gestanden hatte. Ich träumte sogar von ihr. Und im Wachen, wenn sie nicht da war, erfand ich mir lange Gespräche mit ihr, war ihre Freundin, tollte, trieb Mutwillen und weinte mit ihr, wenn wir für etwas gescholten wurden, kurz, ich dachte an sie mit solcher Schwärmerei, wie wenn ich verliebt gewesen wäre. Ich wollte gar zu gern gesund werden und dicke Backen bekommen, wie sie mir geraten hatte.
Wenn Katja morgens zu mir hereingelaufen kam und als erstes Wort mir zurief: „Bist du noch nicht gesund geworden? Du bist ja immer noch so mager!“ dann wurde ich so verwirrt, als hätte ich etwas Schlechtes begangen. Aber Katjas Verwunderung darüber, daß ich nicht im Laufe von vierundzwanzig Stunden gesund werden konnte, war durchaus ernst gemeint; ja, sie wurde zuletzt wirklich ärgerlich.
„Na, wenn du willst, werde ich dir heute mal eine Pastete bringen“, sagte sie einmal zu mir. „Iß sie nur; davon wirst du bald dick werden.“
„Nun, dann bringe sie mir!“ antwortete ich, entzückt darüber, daß ich sie noch einmal wiedersehen sollte.
Nachdem sie sich nach meiner Gesundheit erkundigt hatte, setzte sich die Prinzessin gewöhnlich mir gegenüber auf einen Stuhl und sah mich mit ihren schwarzen Augen an. Überhaupt pflegte sie mich in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft alle Augenblicke so vom Kopf bis zu den Füßen mit der naivsten Verwunderung zu betrachten. Aber unsere Unterhaltung wollte nie so recht in Gang kommen. Katjas Gegenwart und ihr impulsives Wesen machten mich schüchtern, während ich doch so sehnlich mit ihr zu reden wünschte.
„Warum redest du nicht?“ begann Katja, nachdem das Stillschweigen eine Weile gedauert hatte.
„Wie geht es deinem Papa?“ fragte ich, froh darüber, daß es eine Phrase gab, mit der ich jedesmal das Gespräch beginnen konnte.
„Alles in Ordnung; Papa ist wohl. Ich habe heute zwei Tassen Tee getrunken statt einer. Und wieviel du?“
„Eine.“
Wieder Schweigen.
„Heute wollte mich Falstaff beißen.“
„Ist das ein Hund?“
„Ja gewiß. Hast du ihn denn noch nicht gesehen?“
„Nein, noch nicht.“
Und da ich nicht wußte, was ich weiter sagen sollte, sah mich die Prinzessin wieder erstaunt an.
„Sag mal, freut es dich, wenn ich mit dir rede?“
„Ja, es freut mich sehr; komm nur recht oft zu mir!“
„Das haben mir die andern auch gesagt, du würdest dich freuen, wenn ich zu dir käme, und würdest dann schneller aufstehen können; heute werde ich dir eine Pastete bringen ... Aber warum schweigst du denn immer?“
„Ich tue das bloß so, ohne besonderen Grund.“
„Du denkst gewiß viel nach?“
„Ja, ich denke viel.“
„Zu mir sagen sie immer, ich spräche viel und dächte wenig. Ist denn das ein Fehler, wenn man redet?“
„Nein, ich freue mich, wenn du redest.“
„Hm! Ich werde mal Madame Léotard fragen, die weiß alles. Aber worüber denkst du denn nach?“
„Ich denke an dich“, antwortete ich nach kurzem Stillschweigen.
„Macht dir das Vergnügen?“
„Ja.“
„Also hast du mich wohl lieb?“
„Ja.“
„Aber ich habe dich noch nicht lieb. Du bist so mager! Warte, ich werde dir eine Pastete bringen! Nun adieu!“
Die Prinzessin küßte mich eilig und lief aus dem Zimmer.
Nach Tische aber brachte sie mir wirklich die Pastete. Sie kam wie eine Tolle damit hereingelaufen und lachte vor Freude darüber, daß sie mir ein Gericht gebracht hatte, das mir verboten war.
„Iß noch mehr! Iß ordentlich! Das ist meine Pastete; ich selbst habe keine gegessen. Nun adieu!“ Damit war sie verschwunden.
Ein andermal kam sie plötzlich zu mir hereingestürmt, auch wieder zu ungewöhnlicher Zeit, nach Tische; ihre schwarzen Locken waren wie von einem Wirbelwinde zerzaust; ihre Bäckchen brannten wie Feuer; die Augen glänzten ihr; es war ersichtlich, daß sie bereits eine oder zwei Stunden lang herumgelaufen und herumgesprungen war.
„Kannst du Federball spielen?“ rief sie außer Atem und hastig, da sie gleich wieder weg wollte.
„Nein“, antwortete ich und bedauerte tief, daß ich nicht Ja sagen konnte.
„Du bist aber auch die Rechte! Na, werde nur erst gesund, dann werde ich es dir beibringen. Ich kam bloß her, um dich zu fragen. Ich spiele jetzt mit Madame Léotard. Adieu! Sie wartet auf mich!“
Endlich
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