Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
vergangenen Zeiten, und als ich ihm nun jetzt zwei oder drei Stücke vorgesungen hatte, sprach er sich mit einer Miene ernster Überlegung, ja sogar mit einer Art von geheimnisvoller Wichtigkeit dahin aus, es seien unzweifelhaft bedeutende Stimmittel vorhanden, vielleicht sogar Talent, und ich müsse unbedingt ausgebildet werden. Unmittelbar darauf aber schien er sich eines andern zu besinnen und verständigte sich mit Alexandra Michailowna darüber, daß es gefährlich sei, mich gleich am Anfang zu sehr zu loben, und ich bemerkte, wie sie einander zuwinkten und sich heimlich verabredeten, so daß ihr ganzes Komplott gegen mich recht naiv und ungschickt herauskam. Ich lachte im stillen den ganzen Abend, wenn ich sah, wie sie jedesmal nach einem neuen Liede bemüht waren, sich zurückzuhalten und sogar absichtlich meine Mängel hervorhoben. Aber sie konnten sich nicht lange beherrschen, und der erste, der sich verriet, war B..., der vor Freude seinen Gefühlen von neuem freien Lauf ließ. Ich hätte nie geglaubt, daß er mich so gern hatte. Den ganzen Abend über führten wir die freundschaftlichsten, herzlichsten Gespräche. B... erzählte die Lebensgeschichte mehrerer bekannter Sänger und Musiker und sprach von diesen Männern mit dem Entzücken des Künstlers, ja mit Ehrfurcht; er war ganz gerührt. Darauf berührte das Gespräch meinen Vater und ging dann auf mich über, auf meine Kindheit, auf den Fürsten, auf die ganze Familie des Fürsten, von der ich seit der Trennung so wenig gehört hatte. Aber auch Alexandra Michailowna wußte nicht viel von ihr. Am meisten wußte B..., weil er mehrmals in Moskau gewesen war. Aber hier nahm das Gespräch einen geheimnisvollen, mir rätselhaften Charakter an, und zwei oder drei Bemerkungen, die speziell den Fürsten betrafen, waren mir unverständlich. Alexandra Michailowna begann von Katja zu sprechen; aber B... wußte von ihr nichts Besonderes zu sagen; auch schien es, als wolle er absichtlich über sie schweigen. Das war mir überraschend. Ich meinerseits hatte Katja nicht vergessen, und meine frühere Liebe zu ihr hatte sich nicht vermindert; daß aber mit Katja eine Veränderung vorgegangen sein könnte, dieser Gedanke war mir nie in den Sinn gekommen. Aber freilich hatte ich dabei vieles bisher nicht in Betracht gezogen: die Trennung und diese langen Jahre, die wir in verschiedener Weise verlebt und in denen wir einander keine Nachricht hatten zugehen lassen, und die Verschiedenheit der Erziehung und die Verschiedenheit unserer Charaktere. In meiner Gedankenwelt war Katja nie von mir getrennt gewesen: sie hatte in gewissem Sinne immer mit mir zusammengelebt; besonders in allen meinen Träumereien, d.h. in meinen Romanen und selbstersonnenen Abenteuern, gingen wir immer Hand in Hand. Indem ich mir selbst immer in jedem Romane, den ich las, die Rolle der Heldin zuteilte, stellte ich stets sofort meine Freundin, die Prinzessin, neben mich und machte aus einem Roman zwei, von denen ich den einen allerdings selbst verfaßte, obgleich ich dabei die von mir so geliebten Autoren erbarmungslos bestahl. Schließlich wurde in unserm Familienrate der Beschluß gefaßt, einen Gesanglehrer zu mir zu bitten. B... empfahl den berühmtesten und besten. Gleich am nächsten Tage kam der Italiener D... zu uns, hörte mich singen, bestätigte das Urteil seines Freundes B..., erklärte aber sofort, es werde für mich weit nützlicher sein, wenn ich mit seinen anderen Schülerinnen zusammen zum Unterricht zu ihm käme; dort werde die Ausbildung meiner Stimme durch den Wetteifer und durch das reichliche Vorhandensein von Unterrichtsmitteln gefördert werden. Alexandra Michailowna war damit einverstanden, und seitdem ging ich regelmäßig dreimal in der Woche morgens um acht Uhr, von einer Dienerin begleitet, nach dem Konservatorium.
Jetzt muß ich ein seltsames Erlebnis erzählen, das auf mich einen sehr starken Eindruck machte und für mich in scharfem Einschnitt den Beginn eines neuen Lebensalters bildete. Ich war damals sechzehn Jahre alt; da wurde mein Geist plötzlich von einer unbegreiflichen Apathie befallen; eine unerträgliche, verdrossene Müdigkeit, die mir selbst unverständlich war, hatte sich meiner bemächtigt. Alle meine Zukunftshoffnungen, alle meine Bestrebungen versanken auf einmal in Mattigkeit; sogar meine Neigung zu phantastischer Träumerei verschwand infolge meiner geistigen Kraftlosigkeit. Eine alte Gleichgültigkeit war an die Stelle des früheren unerfahrenen
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