Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
hämmerte so, daß die Worte und Buchstaben vor meinen Augen umherliefen und umhersprangen. Lange Zeit konnte ich nichts verstehen. Der Brief gab die Enthüllung eines Geheimnisses; er wirkte auf mich wie ein Blitz, weil ich erkannte, an wen er gerichtet war. Ich wußte, daß ich beinah ein Verbrechen beging, wenn ich diesen Brief las; aber die momentane Versuchung war stärker als ich! Der Brief war an Alexandra Michailowna gerichtet. Hier ist dieser Brief; ich setze ihn hierher. Nur undeutlich verstand ich seinen Inhalt und konnte dann lange Zeit nicht von den bedrückenden Gedanken loskommen, die sich an diese Lösung des Rätsels knüpfen. Von diesem Augenblicke an war mein Leben sozusagen in Stücke zerbrochen. Mein Herz war für lange Zeit tief erschüttert und aufgeregt, ja fast für immer; denn dieser Brief hatte gar zu viele ernste Folgen. Meine Orakelbefragung erwies sich als zuverlässig.
Dieser Brief war ein letzter, schrecklicher Abschied; als ich ihn durchlas, krampfte sich mir das Herz so schmerzhaft zusammen, als hätte ich selbst alles verloren, als wäre mir alles für immer genommen, sogar meine Träumereien und Hoffnungen, als sei mir nichts weiter geblieben als ein wertloses Leben. Wer war derjenige, der diesen Brief geschrieben hatte? Wie hatte sich sein Leben nachher gestaltet? Der Brief enthielt so viele Andeutungen, so viele tatsächliche Angaben, daß über sie ein Irrtum unmöglich war, zugleich aber auch viele Rätsel, über die man sich in Vermutungen verlieren mußte. Aber ich geriet dabei kaum auf Irrwege; übrigens ließ schon der Stil des Briefes, der auch sonst gar vieles verriet, den ganzen Charakter dieses Verhältnisses erkennen, welches zur Folge gehabt hatte, daß zwei Menschen das Herz gebrochen war. Die Gedanken und Gefühle des Briefschreibers lagen offen zutage. Sie waren sehr eigenartig, und es war, wie ich schon gesagt habe, aus ihnen viel zu entnehmen. Aber hier ist der Brief; ich will ihn Wort für Wort abschreiben:
„Du wirst mich nicht vergessen, hast Du gesagt; ich glaube Dir, und von nun an beruht mein ganzes Leben auf diesen Deinen Worten. Wir müssen uns trennen; unsere Stunde hat geschlagen! Ich habe das längst gewußt, Du stille, traurige, schöne Frau; aber erst jetzt habe ich es völlig begriffen. Während der ganzen Zeit, die uns gehörte, während der ganzen Zeit, wo Du mich liebtest, war mein Herz immer voll schmerzlicher Bangigkeit um unsere Liebe, und (wirst Du es glauben?) jetzt fühle ich mich erleichtert! Ich habe es längst gewußt, daß dies das Ende sein werde, und daß es uns so vom Schicksal vorherbeschieden war! Das ist nun einmal unser Schicksal! Glaube mir, Alexandra: ich war Dir nicht ebenbürtig; das habe ich immer, immer gefühlt! Ich war Deiner unwürdig, und ich, nur ich, müßte die Strafe für das Glück tragen, das ich erleben durfte! Sage, was war ich im Vergleich mit Dir? Was war ich, ehe Du mich kennenlerntest? O Gott, schon sind zwei Jahre vergangen, und ich bin noch immer wie von Sinnen; ich kann noch immer nicht begreifen, wie Du mich hast liebgewinnen können! Ich begreife nicht, wie es mit uns dahin gekommen ist, und womit es angefangen hat. Erinnerst Du Dich wohl noch, was ich im Vergleich mit Dir war? War ich Deiner würdig? Was war an mir Gutes? Wodurch zeichnete ich mich aus? Vor der Bekanntschaft mit Dir war ich ein plumper, einfältiger Mensch, auch mein Äußeres trübselig und finster. Ich wünschte mir kein anderes Leben, trachtete nach einem solchen nicht, rief es nicht herbei und wollte es nicht herbeirufen. Meine ganze Seele war dem Ersticken nahe, und ich kannte nichts Wichtigeres auf der Welt als meine tägliche Lohnarbeit. Ich hatte nur eine Sorge, die Sorge um den kommenden Tag; und auch gegen diese Sorge verhielt ich mich gleichgültig. Früher einmal (aber das ist schon lange her), da hatte ich wohl von einem Glücke geträumt und wie ein Narr meinen Phantasien nachgehangen. Aber seitdem war schon viel, viel Zeit vergangen, und ich hatte angefangen, ein einsames, düsteres, stilles Leben zu fuhren, und fühlte nicht einmal die eisige Kälte, die mein Herz erstarren machte. Und so versank mein Herz in Schlaf. Ich wußte ja und war mir klar darüber, daß für mich nie eine andere Sonne aufgehen werde, und glaubte das und murrte nicht dagegen, weil ich wußte, daß es so sein mußte. Als Du an mir vorübergingst, da begriff ich nicht, daß ich es jemals wagen könnte, meine Augen zu Dir zu erheben. Ich war Dir
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