Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
wie schuldbewußt in einem Winkel, indem ich das Schicksal darum bat, daß er mich nicht bemerken möchte. Genau ebenso wie jetzt blieb er vor dem Spiegel stehen, und ich schrak infolge eines unklaren, nicht kindlichen Gefühles zusammen. Es schien mir, daß er sein Gesicht sozusagen umgestaltete. Wenigstens hatte ich, ehe er zum Spiegel trat, deutlich ein Lächeln auf seinem Gesicht gesehen; ich hatte ein Lachen gesehen, das ich früher an ihm niemals wahrgenommen hatte, weil er (ich erinnere mich, daß mir das besonders auffiel) in Alexandra Michailownas Gegenwart niemals lachte. Plötzlich, kaum daß er in den Spiegel gesehen hatte, änderte sein Gesicht sich vollständig. Das Lächeln verschwand, und an seiner Stelle zog ein bitteres Gefühl seine Lippen schief, ein Gefühl, von dem es schien, daß es unwillkürlich gewaltsam aus dem Herzen hervordringe, und daß seine Verbergung trotz aller großmütigen Anstrengungen nicht menschenmöglich sei; ein krampfhafter Schmerz zwang seine Stirn sich zu runzeln und seine Augenbrauen sich zusammenzuziehen. Der Blick versteckte sich finster hinter der Brille; kurz, in einem Augenblicke wurde er wie auf Kommando ein ganz anderer Mensch. Ich erinnere mich, daß ich, damals noch ein Kind, es mit der Angst bekam und mich davor fürchtete, das zu begreifen, was ich da vor mir sah, und daß seitdem eine peinliche, unangenehme Empfindung untilgbar in meinem Herzen haftete. Nachdem er ein Weilchen in den Spiegel geblickt hatte, ließ er den Kopf sinken, krümmte den Rücken zusammen, so wie er gewöhnlich bei Alexandra Michailowna erschien, und ging auf den Fußspitzen in ihr Zimmer. Die Erinnerung an dieses Erlebnis war es, die mir jetzt auf einmal durch den Kopf ging.
Wie damals so glaubte er auch jetzt allein zu sein und blieb vor diesem selben Spiegel stehen. Wie damals erweckte das Zusammensein mit ihm bei mir eine feindselige, unangenehme Empfindung. Aber als ich dieses Liedchen hörte (ein Liedchen von ihm, von dem so etwas absolut nicht zu erwarten war), das mich so überraschte, daß ich wie angenagelt auf meinem Platze stehenblieb, und als mir in demselben Augenblicke die Ähnlichkeit mit jenem selben Vorgange aus meiner Kindheit einfiel: da kann ich gar nicht sagen, was für ein Widerwille mir auf einmal wie ein Stich durchs Herz fuhr. Alle meine Nerven zitterten, und als Antwort auf dieses unglückliche Liedchen brach ich in ein solches Gelächter aus, daß der arme Sänger aufschrie, zwei Schritte vom Spiegel zurücksprang und totenblaß wie ein schmählich auf frischer Tat ertappter Verbrecher außer sich vor Schreck, vor Erstaunen und Wut mich ansah. Sein Blick übte einen krankhaften Reiz auf mich aus, und ich beantwortete ihn mit einem nervösen, krampfartigen Lachen, ihm gerade ins Gesicht; dann ging ich lachend an ihm vorbei und trat, immer noch weiterlachend, in Alexandra Michailownas Zimmer. Ich wußte, daß er hinter den Portieren stand und vielleicht schwankte, ob er hereinkommen sollte oder nicht, daß Wut und Feigheit ihn an seinen Platz anschmiedeten, und ich wartete mit gereizter, herausfordernder Ungeduld darauf, wozu er sich wohl entschließen werde; ich hätte darauf wetten mögen, daß er nicht hereinkommen werde, und hätte die Wette gewonnen. Erst nach einer halben Stunde trat er ein. Alexandra Michailowna blickte mich lange höchst erstaunt an. Aber vergebens fragte sie mich, was mir wäre. Ich konnte nicht antworten; ich hatte keine Lust. Endlich begriff sie, daß ich einen Nervenanfall bekommen hatte, und sah mich besorgt an. Als ich mich wieder erholt hatte, ergriff ich ihre Hände und bedeckte sie mit Küssen. Erst jetzt kam ich zur rechten Überlegung, und erst jetzt wurde ich mir bewußt, daß ich sie getötet hätte, wenn nicht die Begegnung mit ihrem Manne erfolgt wäre. Ich sah sie an wie eine vom Tode Errettete.
Pjotr Alexandrowitsch trat ein.
Ich streifte ihn mit einem flüchtigen Blicke; er sah so aus, als hätte zwischen uns beiden nichts stattgefunden, d.h. er war finster und mürrisch wie immer. Aber an seinem blassen Gesichte und an seinen leise zuckenden Mundwinkeln merkte ich, daß er seine Aufregung kaum verbergen konnte. Er begrüßte Alexandra Michailowna kühl und setzte sich schweigend auf seinen Platz. Seine Hand zitterte, als er die Teetasse in Empfang nahm. Ich erwartete einen heftigen Ausbruch, und eine namenlose Angst befiel mich. Ich wollte schon weggehen, konnte mich aber nicht dazu entschließen, Alexandra
Weitere Kostenlose Bücher