Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
wieder eine Szene machte! Oh, ich bin zu unglücklich! Mein Charakter ist nun einmal so – es ist ein furchtbarer, unglücklicher Charakter! Sie werden es erleben: Ich bringe es noch dahin, daß auch er sich von mir abwendet um einer anderen willen, mit der sich leichter leben läßt, so wie Dmitri, aber dann ... Nein, das werde ich dann nicht ertragen, dann werde ich mir das Leben nehmen! Als Sie damals hier erschienen und ich ihn aufforderte zurückzukommen und er dann mit Ihnen eintrat, da packte mich ein solcher Zorn über den haßerfüllten, verächtlichen Blick, mit dem er mich plötzlich ansah, daß ich Ihnen zurief, er, er allein habe mich zu der Überzeugung gebracht, daß sein Bruder Dmitri der Mörder sei! Ich log absichtlich, um ihn noch einmal zu verletzen; denn niemals, niemals hat er mich zu überzeugen gesucht, daß sein Bruder der Mörder sei – vielmehr habe ich selbst ihn davon überzeugt! Oh, an allem ist meine Tollheit schuld! Ich, ich habe diese entsetzliche Szene vor Gericht veranstaltet! Er wollte mir beweisen, daß er edel dachte, daß er trotz meiner Liebe zu seinem Bruder ihn nicht aus Rachsucht und Eifersucht zugrunde richten wollte. Deshalb trat er vor Gericht auf ... Ich bin an allem schuld, ich allein bin schuld!«
Noch niemals hatte Katja Aljoscha solche Geständnisse gemacht, und er fühlte, daß sie sich jetzt auf jener Stufe unerträglichen Leidens befand, wo auch das stolzeste Herz schmerzerfüllt seinen Stolz fahrenläßt und von Kummer überwältigt zu Boden sinkt. Aljoscha kannte noch eine furchtbare Ursache ihrer jetzigen Qualen, sosehr sie diese vor ihm auch seit Mitjas Verurteilung verborgen hatte. Es wäre ihm jedoch zu schmerzlich gewesen, wenn sie sich entschlossen hätte, so tief zu sinken, daß sie zu ihm auch von dieser Ursache selbst sprach. Sie litt wegen ihres »Verrats« vor Gericht, und Aljoscha fühlte, daß ihr Gewissen sie trieb, sich gerade vor ihm, Aljoscha, anzuklagen, weinend, krampfhaft kreischend, auf dem Boden liegend und um sich schlagend. Aber er fürchtete sich vor diesem Augenblick und wünschte die Leidende zu schonen. Um so schwieriger wurde der Auftrag, mit dem er gekommen war. Er begann wieder von Mitja zu reden.
»Das hat nichts zu sagen, seien Sie seinetwegen ganz unbesorgt!« begann Katja wieder hartnäckig und in scharfem Ton. »Das dauert bei ihm alles immer nur einen Augenblick, ich kenne ihn, ich kenne dieses Herz nur zu gut. Seien Sie überzeugt, daß er einwilligen wird, zu fliehen. Und die Hauptsache ist, daß es nicht in allernächster Zukunft geschehen soll; er wird noch genug Zeit haben, seinen Entschluß zu fassen. Iwan Fjodorowitsch wird dann wieder gesund sein und alles selber leiten, so daß ich dabei nichts zu tun haben werde. Seien Sie unbesorgt, er wird einwilligen. Und er ist auch jetzt schon damit einverstanden: Kann er sich etwa von dieser Kreatur trennen? An seinen Strafort wird man sie nicht lassen – wie sollte er also unter diesen Umständen nicht fliehen wollen? Die Hauptsache ist nur, er hat Angst vor Ihnen. Er fürchtet, Sie könnten vom moralischen Standpunkt aus die Flucht nicht billigen. Aber Sie müssen sie ihm großmütig erlauben, wenn Ihr Ja nun einmal unumgänglich ist«, fügte Katja giftig hinzu.
Sie schwieg ein Weilchen und lächelte.
»Er redet da von irgendwelchen Hymnen, von einem Kreuz, das er tragen muß, von einer Schuld. Ich erinnere mich, daß mir Iwan Fjodorowitsch seinerzeit viel davon erzählt hat – wenn Sie wüßten, wie er das erzählte!« rief Katja plötzlich in einem unaufhaltsamen Gefühlsausbruch. »Wenn Sie wüßten, wie er diesen Unglücklichen liebte, als er mir das von ihm erzählte, und wie er ihn vielleicht im gleichen Moment haßte! Ich aber, ich lächelte damals stolz, als ich seine Erzählung hörte und seine Tränen sah! Oh, so eine Kreatur! Die Kreatur bin ich! Ich bin daran schuld, daß er Nervenfieber bekommen hat! Und der andere, der Verurteilte, ist der etwa bereit zu leiden?« schloß Katja gereizt. »Kann so ein Mensch denn überhaupt leiden? Solche Menschen wie er leiden niemals!«
Ein Gefühl wie Haß, Verachtung, ja Ekel war aus dem Klang dieser Worte herauszuhören. Und dabei war sie es doch gewesen, die ihn verraten hatte. ›Vielleicht haßt sie ihn in manchen Augenblicken gerade deshalb, weil sie sich ihm gegenüber schuldig fühlt?‹ dachte Aljoscha im stillen. Er wünschte sehr, daß das nur »in manchen Augenblicken« der Fall sein möchte. Aus Katjas
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