Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
ihm sein würde, davon zu reden. Außerdem war er sehr in Eile, denn er hatte diesen Morgen noch eine andere unaufschiebbare Sache an anderer Stelle vor sich. Sie hatten schon ungefähr eine Viertelstunde miteinander gesprochen. Katerina Iwanowna war blaß und sehr ermüdet, befand sich gleichzeitig jedoch in einer ungewöhnlichen, krankhaften Erregung; sie ahnte, warum Aljoscha, von allem übrigen abgesehen, jetzt zu ihr gekommen war.
»Daß er sich dazu entschließen wird, darüber brauchen Sie sich keine Sorge zu machen«, sagte sie in festem, energischem Ton zu Aljoscha. »So oder so, er wird doch zu diesem Hilfsmittel greifen müssen! Er muß fliehen! Dieser Unglückliche, dieser Held der Ehre und des Gewissens, nicht Dmitri Fjodorowitsch, sondern der hinter dieser Tür, der sich für seinen Bruder aufgeopfert hat, hat mir diesen ganzen Fluchtplan schon längst mitgeteilt. Wissen Sie, er hat sogar schon die erforderlichen Verbindungen angeknüpft ... Ich habe Ihnen bereits einiges darüber gesagt ... Sehen Sie, es wird aller Wahrscheinlichkeit nach auf der dritten Etappe von hier vor sich gehen, wenn der betreffende Sträflingstrupp nach Sibirien geführt wird. Oh, bis dahin wird noch viel Zeit vergehen. Iwan Fjodorowitsch ist schon bei dem Kommandanten der dritten Etappe gewesen. Wir wissen nur noch nicht, welcher Offizier den Trupp führen wird, und es ist auch nicht möglich, das im voraus zu erfahren. Morgen werde ich Ihnen vielleicht den ganzen Plan mit allen Einzelheiten zeigen, den mir Iwan Fjodorowitsch einen Tag vor der Gerichtsverhandlung für alle Fälle hiergelassen hat. Es war damals, als Sie uns am Abend im Streit antrafen. Er stieg schon die Treppe hinab, und als ich Sie sah, veranlaßte ich ihn, wieder umzukehren, erinnern Sie sich? Wissen Sie, weswegen wir uns damals gestritten haben?«
»Nein, ich weiß es nicht,« erwiderte Aljoscha.
»Er hat es vor Ihnen natürlich geheimgehalten. Es ging um eben diesen Fluchtplan. Er hatte ihn mir schon drei Tage vorher in den Hauptzügen enthüllt – und gleich da begannen wir uns zu streiten, und wir stritten uns dann die ganzen drei Tage. Die Ursache unseres Streites war folgende: Als er mir eröffnete, daß im Falle einer Verurteilung Dmitri Fjodorowitsch mit jener Kreatur zusammen ins Ausland fliehen sollte, da wurde ich plötzlich zornig – ich kann Ihnen nicht sagen, warum, ich weiß es selbst nicht ... Oh, natürlich wurde ich ihretwegen so zornig, und weil sie mit Dmitri Fjodorowitsch zusammen ins Ausland fliehen sollte!« rief Katerina Iwanowna plötzlich, und ihre Lippen zitterten vor Wut. »Als Iwan Fjodorowitsch sah, daß ich ihretwegen so zornig wurde, dachte er sofort, ich wäre auf sie eifersüchtig, weil ich Dmitri noch immer liebte. Daraus entstand damals unser erster Streit. Erklärungen mochte ich ihm nicht geben, ihn um Verzeihung bitten konnte ich nicht; es tat mir zu weh, daß ein Mann wie er den Verdacht haben konnte, meine frühere Liebe zu dem anderen wäre noch nicht erloschen. Und daß er das noch glauben konnte, obwohl ich ihm schon längst selber gesagt hatte, meine Liebe gehöre nicht Dmitri, sondern einzig und allein ihm! Drei Tage danach, an jenem Abend, als Sie kamen, brachte er mir ein versiegeltes Kuvert, das ich öffnen sollte, falls ihm etwas zustieße. Oh, er ahnte seine Krankheit voraus! Er sagte mir, das Kuvert enthalte die näheren Einzelheiten über die Flucht; falls er stürbe oder gefährlich erkrankte, sollte ich allein Mitja retten. Gleichzeitig ließ er mir Geld hier, fast zehntausend Rubel – dieselbe Summe, die der Staatsanwalt in seiner Rede erwähnte, als er sagte, er hätte erfahren, daß Iwan Fjodorowitsch Wertpapiere zum Umwechseln weggeschickt hat. Es machte auf mich einen gewaltigen Eindruck, daß Iwan Fjodorowitsch den Gedanken, seinen Bruder zu retten, nicht aufgab und mir, mir selbst dieses Rettungswerk anvertraute, obwohl er noch immer meinetwegen eifersüchtig und davon überzeugt war, daß ich Mitja liebte! Oh, das war ein Opfer! Nein, Sie werden diese Selbstverleugnung in ihrem ganzen Umfang gar nicht verstehen, Alexej Fjodorowitsch! Ich wollte ihm schon zu Füßen fallen; doch da fiel mir auf einmal ein, er könnte ein solches Benehmen nur für den Ausdruck meiner Freude über die beabsichtigte Rettung Mitjas halten, und die Möglichkeit einer so ungerechten Deutung von seiner Seite brachte mich dermaßen auf, daß ich wieder ganz zornig wurde und ihm, statt ihm die Füße zu küssen,
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