Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
Vom Netzwerk:
heißen, trockenen Tage, ließ uns die Mutter nicht zum Essen rufen, sondern schickte das Essen zu uns hinaus und ließ es unter einem Busch am Zelt hinstellen. Das machte uns einen Riesenspaß und wir verzehrten natürlich alles ohne Messer und Gabel, einfach mit den Händen, wie es sich für richtige Wilde schickt. Doch als wir auch die Nacht als Wilde im Freien verbringen wollten, wurde uns das nicht erlaubt. Ein anderes Spiel, das nur wir zwei spielten, war ›Robinson und Freitag‹, bei dem ich den Freitag spielen mußte, da Fjodor selbstredend Robinson war. Dann mühten wir uns schrecklich, in unserem Lindenhain alle die Entbehrungen zu erdulden, die jene beiden auf der unbewohnten Insel zu ertragen gehabt hatten.
    »Auf dem Lande waren wir fast den ganzen Tag im Freien, und wenn wir nicht spielten, verbrachten wir Stunden um Stunden auf den Feldern, wo wir der schweren Feldarbeit der Bauern zusahen. Die Bauern liebten uns alle, aber Fjodor liebten sie doch ganz besonders. In seiner Lebhaftigkeit wollte er alles selbst mitmachen. Bald bat er, das Pferd mit der Egge führen zu dürfen, bald ging er neben dem Pflug einher und trieb das Pferd an, u. a. m. Auch liebte er, mit den Bauern Gespräche anzuknüpfen, und sie unterhielten sich gern mit ihm. Doch das größte Vergnügen war für ihn, irgend einen Auftrag ausführen oder irgend eine Gefälligkeit erweisen oder sich sonstwie nützlich machen zu können. Einmal hatte eine Bäuerin in der Erntezeit aus Versehen den Wasserkrug umgeworfen, den sie für ihr kleines Kind mitgenommen hatte. Da nahm mein Bruder sofort den Krug und lief ins Dorf (etwa 1+½ Werst weit) und brachte zur Freude der Mutter den Krug mit frischem Wasser zurück. Er wußte es auch selbst, daß man ihn liebte.
    »Unser Landgut bestand aus zwei kleinen Dörfern, die 1+½ Werst voneinander lagen. In dem einen, in Darowoje, wohnten wir, das andere hieß Tschermaschnjä, und dorthin gingen wir oft zu Fuß. Fjodor ritt manchmal hinüber, und erbot sich immer als erster dazu, wenn die Mutter einen Auftrag zu erteilen hatte.
    »Zum Schluß dieser Erinnerungen an unser Landleben möchte ich noch die Agrafena erwähnen, die das ›Dummchen‹ genannt wurde. Sie gehörte zu keiner der Bauernfamilien und trieb sich immer im Freien umher; nur im Winter, und auch dann nur bei sehr großer Kälte, konnte man sie mit Gewalt in einer Hütte zurückhalten. Sie war damals 20-25 Jahre alt; sprach sehr wenig, nur ungern und unverständlich; aus ihrem zusammenhanglosen Gerede konnte man nur so viel entnehmen, daß sie beständig mit dem Gedanken an ein kleines Kind umherging, das auf dem Friedhofe begraben sei. Als ich in den ›Brüdern Karamasoff‹ die Geschichte der ›stinkenden Lisaweta‹ las, fiel mir sofort dieses Dummchen Agrafena ein.
    »Den ersten Unterricht erteilte uns unsere Mutter, und wir alle hatten ein und dasselbe erste Lesebuch. Es hieß: ›Hundert und vier heilige Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament‹. Wenn ich mich nicht irre, war es eine Übersetzung nach einem deutschen, von Hübner zusammengestellten Schulbuche. – Dieses Buch war mit einigen schlechten Steindrucken versehen –, die die Erschaffung der Welt, Adam und Eva im Paradiese, die Sintflut und andere biblische Geschehnisse darstellten. Als ich vor nicht langer Zeit, Ende der siebziger Jahre, mit meinem Bruder Fjodor auf unsere Kindheit zu sprechen kam und u. a. auch dieses Buch erwähnte, erzählte er mir geradezu begeistert, daß es ihm gelungen sei, dieses alte Buch, aus dem wir gelernt hatten, wiederzufinden, und daß er es nun wie ein Heiligtum aufbewahre.
    »In jenem ersten Jahre, dessen ich mich gerade noch erinnern kann, konnten meine Brüder bereits lesen und schreiben und bereiteten sich zum Eintritt in das Pensionat vor. Damals kamen zwei Lehrer zu uns ins Haus. Der erste war ein Diakon, der auch am Katharineninstitut unterrichtete. Bevor er kam, wurde jedesmal der Lhombretisch aufgeklappt, an den wir vier Kinder uns dann zusammen mit dem Lehrer setzten. Die Mutter saß immer weiter ab und war mit einer Handarbeit beschäftigt. Ich habe später viele Religionslehrer gehabt, aber nie wieder einen solchen wie diesen. Der hatte wirklich, was man so nennt, die Gabe des Wortes, und während der ganzen Stunde (die noch nach alter Sitte etwa zwei Stunden dauerte) tat er nichts anderes als erzählen oder, wie bei uns gesagt wurde, die Heilige Schrift auslegen. Nur wenige Minuten zu Anfang der Stunde gebrauchte er

Weitere Kostenlose Bücher