Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
staatlichen Schulinspektoren empfohlen waren, und in der letzten Klasse unterrichteten späterhin sogar Universitätsprofessoren. Der Unterricht begann täglich um 8 Uhr: die erste Stunde war von 8 bis 10, die zweite von 10 bis 12; dann kam das Mittagessen. Von 2 bis 4 und von 4 bis 6 gab es wieder Unterricht. Nach dem Tee hatte man die Aufgaben zu lernen und um 9 Uhr aß man zu Abend; und dann gingen alle ins Schlafzimmer. Tschermak war ein schon bejahrter Mann und eigentlich wenig oder gar nicht gebildet, aber er besaß jenen Takt, der oft den gebildetsten Schuldirektoren abgeht. Zu Anfang jeder Stunde ging er durch alle Klassen, und wenn er in einer Klasse den Lehrer noch nicht antraf, blieb er dort so lange, bis der Lehrer kam, dem er dann mit dem gütigsten Lächeln die Hand reichte, während er mit der Linken seine Taschenuhr hervorzog, gleichsam um für sich selbst festzustellen, welche Zeit es denn sei. Bei solchen Gepflogenheiten tat natürlich ein jeder sein möglichstes, um nicht zu spät zukommen. Doch vor allen Dingen war unser Alter ein Gemütsmensch. Er ging auf alle, auch auf die geringsten Bedürfnisse der ihm anvertrauten Kinder ein. Wenn ein Schüler sich ausgezeichnet und eine Vier erhalten hatte (damals war Vier die beste Note), so rief er ihn ganz ernst zu sich ins Kabinett und händigte ihm dort ein kleines Bonbon ein. Es kam vor, daß er mit dieser Belohnung auch Schüler der höheren Klassen auszeichnete, doch niemals machte sich auch nur einer von ihnen darüber lustig. Wenn jemand von den Pensionären erkrankte, schickte Tschermak ihn sofort zu seiner Frau: »Geh zu Augusta Franzowna«. Die steckte den Erkrankten sogleich ins Bett und sandte unverzüglich nach dem Hausarzt – damals Doktor W. W. Treiter.«
Andrei Michailowitsch führt auch die Namen einzelner bedeutender Männer an, die Tschermaks Pensionäre gewesen sind; und auch Fjodor Michailowitsch hat darauf hingewiesen, daß mehrere namhafte Persönlichkeiten, u. a. auch Mühlhausen, der nachmalige Rektor der Moskauer Universität, mit ihm zusammen bei Tschermak Unterricht genommen haben.
»Also in dieses Pensionat,« fährt Andrei Michailowitsch fort, »traten meine Brüder im Jahre 1834 ein. Auch meine älteste Schwester war damals in einem Mädchenpensionat. An den freien Tagen, die sie zu Hause verbrachten, mußten sie mich auf Wunsch der Eltern unterrichten: Michail in Arithmetik und Geographie, Fjodor in Geschichte und Russisch, und Warwara in der französischen und deutschen Sprache. Schon am Morgen des letzten Wochentages begann man die Rückkehr der Kinder ins Elternhaus zu empfinden. Auch die Eltern wurden ein wenig heiterer und zum Mittagessen wurde noch irgend etwas Besonderes hinzugefügt, kurz, es lag etwas Feiertägliches in der Luft. Ja, an diesem Tage wurde sogar die ewig feststehende Tischzeit (12 Uhr) verschoben, denn bis der Wagen hinfuhr, die Brüder sich zurechtmachten usw. vergingen gute 1+½-2 Stunden. (Die Schwester wurde erst gegen Abend abgeholt.) Doch kaum waren die Brüder angelangt, da kam schon, noch bevor man sich richtig begrüßt hatte, das Essen auf den Tisch, und noch bevor sie ihren ersten Hunger gestillt hatten, begann das Erzählen. Zuerst wurden wahrheitsgetreu alle Noten gemeldet, die sie im Laufe der Woche erhalten hatten, dann wurde von den Lehrern erzählt, von den anderen Schülern, von verschiedenen, manchmal nicht ganz harmlosen Streichen der Kameraden. Darüber verging die Zeit und die Mahlzeit dauerte bedeutend länger als sonst. Die Eltern hörten befriedigt zu und schwiegen, indem sie die Kinder sich aussprechen ließen. Ich kann wohl versichern, daß die Brüder alles mit vollkommenster Aufrichtigkeit den Eltern erzählten. Aber es kam nie vor, daß der Vater bei der Gelegenheit den Söhnen Moral gepredigt hätte. Wenn sie von den Streichen der Kameraden erzählten, sagte er nur hin und wieder: »so ein Schlingel«, oder »so ein Raufbold«, oder »so ein Taugenichts« und ähnliches, doch niemals fügte er hinzu, etwa: »Hört! daß ihr mir nicht dasselbe tut!« Ich glaube, mit diesem Verhalten wurde zu verstehen gegeben, daß der Vater sogar die Möglichkeit für ausgeschlossen hielt, auch seine Söhne könnten ähnliche Streiche verüben. Nach Tisch wurde noch ein wenig geplaudert, und dann setzten sich die Brüder an die Lhombretische und gaben sich ganz der Lektüre der Bücher hin, die sie regelmäßig aus dem Pensionat mitbrachten. Selten habe ich gesehen, daß sie sich am
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