Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
zum Abfragen der Aufgaben, dann begann er selbst.... von der Sintflut, von Joseph, von der Geburt Christi erzählte er ganz besonders schön – so daß die Mutter oft die Arbeit aus der Hand legte, ihm zuhörte und die Augen von dem begeisterten Erzähler nicht abwenden konnte. Ich darf wohl ohne weiteres behaupten, daß er mit seinen Erzählungen wie kein anderer unsere Kinderherzen ergriff. Doch ungeachtet alles dessen verlangte er von uns, daß wir die Aufgaben buchstäblich auswendig lernten und nicht eine Silbe ausließen. Es tut mir sehr leid, daß ich mich auf den Namen dieses verehrten Lehrers nicht mehr besinnen kann.
»Der andere Lehrer, der in dieser Zeit zu uns ins Haus kam, war der Lehrer der französischen Sprache Suchard, der sich nach der Erfüllung seiner Bitte an Kaiser Nikolai I., seinen Namen umdrehen und ihm die Endung off anhängen zu dürfen, Draschussoff nannte, da es sein glühendster Wunsch war, ein echter Russe zu sein. Zu diesem Draschussoff fuhren nun meine beiden älteren Brüder, als der Unterricht im Lesen und Schreiben, in der Religion und der französischen Sprache nicht mehr genügte, ein ganzes Jahr lang oder noch länger, jeden Morgen als sogenannte Halbpensionäre und kehrten zum Mittagessen zurück. Draschussoff hatte eine kleine Vorschule oder ein Pensionat für auswärtige Schüler, er selbst unterrichtete in der französischen Sprache, seine zwei erwachsenen Söhne in der Mathematik und in anderen Fächern. Dagegen gab es an dieser bescheidenen Schule keinen Lehrer der lateinischen Sprache, und so übernahm denn unser Vater selbst den Unterricht in diesem Fach. Ich erinnere mich noch des Morgens, an dem er von der Fahrt zu seinen Patienten in der Stadt eine lateinische Grammatik mitbrachte und sie den Brüdern übergab. Seit diesem Tage wurden sie jeden Abend in dieser Sprache unterrichtet. Der Unterschied zwischen dem Unterricht beim Vater und dem bei den anderen Lehrern bestand vor allem darin, daß sie bei letzteren die ganze Stunde saßen, beim Vater dagegen, dessen Unterricht oft über eine Stunde dauerte, durften sie nicht nur nicht sitzen, sondern nicht einmal sich an den Tisch stützen. So standen sie denn wie kleine Götzenbilder da, wenn sie, der eine nach dem anderen, » mensa, mensae « usw. deklinierten oder » amo, amas, amat « konjugierten. Die Brüder fürchteten sich denn auch sehr vor diesen Stunden. Der Vater war bei all seiner Güte äußerst anspruchsvoll und sehr ungeduldig, und dazu noch überaus jähzornig.«
(Nach den Aussagen anderer soll der Vater ein finsterer, nervöser, mißtrauischer Mensch gewesen sein.) »Kaum machte einer von den Brüdern einen Fehler – da schrie er ihn schon an. Hier muß ich aber bemerken, daß unsere Eltern, ungeachtet der Heftigkeit des Vaters, uns Kinder sehr »human« behandelten; nie sind wir körperlich bestraft worden, und ich kann mich auch nicht erinnern, daß einer von den älteren Brüdern einmal auf die Knie befohlen oder in den Winkel gestellt worden wäre. Die größte Strafe bedeutete für uns eben dieses Aufbrausen des Vaters. So war es auch in den Lateinstunden: bei dem geringsten Fehler der Brüder ärgerte er sich, nannte sie Faulpelze, Dummköpfe, und im äußersten Falle warf er sogar das Buch hin, ohne die Stunde zu beenden, und das war für uns immer die schlimmste Strafe.
»Diese »Humanität« unserer Eltern war offenbar auch der Grund, weshalb sie sich zu ihren Lebzeiten nicht entschließen konnten, uns in ein Gymnasium zu geben, obgleich das bedeutend weniger gekostet hätte. Die Gymnasien standen damals in keinem guten Rufe und die Schüler wurden in ihnen für jedes geringste Vergehen körperlich bestraft. Deshalb zogen die Eltern eine Privatschule vor, und als die Vorbereitung der Brüder beendet war, kamen sie zu Anfang des Lehrjahres
1834 in
das Pensionat von L. J. Tschermak, das zu den ältesten Privatlehranstalten Moskaus gehörte und damals schon seit mindestens zwanzig Jahren bestand. Das Haus lag in der Neuen Basmannajastraße, neben dem Polizeiamt dieses Reviers. Ich kam zwar erst später in dieses Pensionat, als meine Brüder es bereits verlassen hatten, aber da es dort zu ihrer Zeit nicht viel anders gewesen sein dürfte, will ich kurz die Verhältnisse schildern.
»Die Privatschule von L. J. Tschermak kam dem Ideal einer geschlossenen Lehranstalt recht nahe. Ihr fehlte nicht der Charakter des Heims, der Familie. Die Lehrer waren durchweg gute Kräfte, die ausnahmslos von den
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